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Fortgang des Hasses

■ Der Film 'Verzaubert– dokumentiert die anhaltende Diskriminierung der Homosexualität in der Adenauer-Republik

dokumentiert die anhaltende Diskriminierung der Homosexualität in der Adenauer-Republik

Deutschland in den vierziger und in den fünfziger Jahren: Nichts mehr als Wirtschaftswunder, kulturell kaum mehr als die Caprifischer, als Friedel Hensch & die Cypris? Ein Trizonesien, wie das damals noch in drei Sektoren geteilte Westdeutschland genannt wurde, das die böse Vergangenheit, das Böse des Nationalsozialismus abgeschüttelt hat? Schwulen und Lesben erging es anders. Briefe, warnte ein von der Staatsanwaltschaft Nummer für Nummer indiziertes Blatt, sollten schleunigst vernichtet werden, damit die Polizei nicht bei Hausdurchsuchungen auf die Spur der noch von den Nazis mit dem rosa Winkel bedachten Homosexuellen kommen kann.

Verzaubert heißt der Film einer aus einem autonomen Universitätsseminar schwuler und lesbischer Filminteressierter hervorgegangenen Projektgruppe, der gestern im Metropolis als Hamburger Premiere zu sehen war. Er enthüllt als Dokumentation einen Skandal, der in der Debatte um Wiedergutmachung nicht thematisiert wurde: Homosexuelle, die nach dem Dritten Reich darauf hofften, daß die Liberalisierungstendenzen der Weimarer Republik im Adenauer- Deutschland ihre Fortsetzung finden, wurden abermals diskriminiert, mehr noch: verurteilt, in Gefängnisse gesteckt, in den Selbstmord getrieben, mit dem Verlust ihrer Integrität bedroht.

Zu sehen ist keine nüchterne Faktensammlung, keine schnelle Schnittfolge mit Sentenzen aus einer teils alptraumhaften, teils subkulturell-fröhlichen Wirklichkeit, sondern Interviews mit heute ergrauten, nichtsdestotrotz kämpferischen alten Männern und Frauen, die ihre Interviewer, Jungs und Deerns, die ihre Enkel sein könnten, bisweilen heftig aufs Glatteis führen.

Bedrückend die Bilder, wie – unausgesprochen – manche der ProtagonistInnen um Lebenschancen gebracht wurden, Wally zum Beispiel nur mit Mühe den Medizinern entkommen konnte, die sie sterilisieren wollten. „Ein Wir-Gefühl kannten wir nicht“, sagt dann Arno, der im KZ Neuengamme als Blockführer arbeiten konnte.

Bisweilen gleitet der Streifen in Pathos ab. Da wird die Szene, als einer erzählt, wie es in den fünfziger Jahren mit den Klappen war, den öffentlichen Pissoirs als Kontaktstellen, untermalt durch Bilder, die eine Toilette am U-Bahnhof Feldstraße zeigen – als könnten die beiden historischen Situationen einfach so verglichen werden.

Der Film heißt schließlich nicht umsonst „Verzaubert“: Anbaggern, sexuelle Avancen der grellen Art waren selten, bevorzugt wurde die Anbahnung erotischer Kontakte im Kammerton, burschikos manchmal, subversiv auf jeden Fall. Der Film gibt Anlaß darüber nachzudenken, warum die Opfer des Paragraphen 175 bis heute nicht entschädigt wurden. Und zwar diejenigen, die von den Nazis noch verfolgt wurden. Aber auch jene, die die Justiz des Wirtschaftswunderdeutschlands auf dem Gewissen hat.

Die „Geschichten vom anderen Ufer“, so der Untertitel, sollen in den kommenden Wochen in einem Hamburger Kino zu sehen sein. Termine stehen noch nicht fest.

Arne Fohlin

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