: Neues Leck in litauischem Atomreaktor
■ Atombehörde: Beim ersten Leck in der vergangenen Woche hätte es zur Havarie kommen können/ Beide Ignalina-Reaktoren vom Tschernobyl-Typ zunächst abgeschaltet/ Wiederanfahren am Freitag ist fraglich
Vilnius/Stockholm (dpa/taz) – Beim litauischen Atomkraftwerk Ignalina, dem größten auf dem Gebiet der früheren UdSSR, ist erneut ein Leck entdeckt worden. Wie Gennadi Lipunov, stellvertretender Chef der litauischen Atomsicherheitsbehörde, gestern in Vilnius bestätigte, wurde es im Kühlsystem des Reaktors vom Tschernobyl-Typ RBMK gefunden. Nach seinen Angaben drohte beim ersten Leck, nach dessen Entdeckung der 1.500-Megawatt-Block am Donnerstag abgeschaltet wurde, eine Havarie. Der zweite Reaktorblock war zu dem Zeitpunkt bereits wegen Routine-Reparaturen abgeschaltet. Es ist nun fraglich, ob das Kraftwerk wie geplant am Freitag wieder ans Netz gehen wird.
Der Werksdirektor von Ignalina, Wiktor Schewaldin, hatte den Bericht eines schwedischen Sicherheitsexperten vom Samstag über das zweite Leck noch dementiert und gesagt, es gebe nur eine undichte Stelle im zweiten Block. Behördenchef Lipunov gab demgegenüber gestern erstmals zu, daß beim ersten Leck 200 Liter verstrahltes Wasser aus dem Kühlsystem ausgetreten seien. Das Filtersystem habe das Wasser jedoch vor Austritt aus der Anlage gesäubert, so daß keine Radioaktivität in die Umwelt gelangt sei. Lipunov bezeichnete den Zwischenfall als ernst. Wäre es nicht rasch gelungen, den Riß zu schließen, hätte es zu einer Havarie des Reaktors kommen können. Das zweite Leck von der Größe einer Stecknadel, aus dem reines Wasser geflossen sei, hätten Techniker bei Reparaturarbeiten des ersten, etwa ein Zentimeter langen Risses entdeckt. Nun sollen alle Rohre des Kühlsystems überprüft werden.
Ein Sprecher der Strahlenschutzbehörde in Stockholm teilte die Einschätzung Lipunovs zu den Zwischenfällen und sagte: „Man hat die Lage unter Kontrolle, wenngleich solche Geschehnisse als ernst zu bezeichnen sind.“ Vor allem sei beunruhigend, daß Risse im Notkühlsystem entdeckt worden seien. Westliche Atomexperten, darunter auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), haben immer wieder die völlige Schließung des Atomkraftwerkes verlangt, das die litauische Regierung noch 20 Jahre laufen lassen will. Im Juli und September waren bereits Lecks aufgetreten.
Die Abschaltung beider Blöcke stellt Litauens Stromversorgung vor große Probleme, da 60 Prozent aus dem 90 Kilometer von Vilnius entfernten Ignalina gedeckt werden. Rußlands Regierung hat zudem angekündigt, Erdöl und Erdgas nur noch zu Weltmarktpreisen an Litauen zu verkaufen. Regierungschef Alexandras Abisala sagte, Litauen habe keine ausreichenden Devisen und auch die Kredite aus dem Westen könnten den Mangel nicht ausgleichen.
Am Samstag abend sagte Abisala in einer Fernsehansprache, die Bevölkerung müsse sich auf einen harten Winter einstellen. Die Temperatur in den Wohnungen werde nicht mehr als 13 Grad erreichen, warmes Wasser nur selten fließen.
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