: Gewissensfreiheit bei Asyl-Abstimmung
■ Innenpolitischer Sprecher sieht SPD-Abgeordnete nicht an Parteibeschluß gebunden/ Engholm und Schröder auf Kompromißsuche/ SPD-Oberbayern gegen, SPD-Oberfranken für Petersberg
Hamburg (dpa/taz) — Die SPD-Führung sucht weiter hektisch nach einem innerparteilichen Asylkompromiß. Derweil denkt der innen- und rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Willfried Penner, schon einen Schritt weiter: Die Asyl-Entscheidung des bevorstehenden Sonderparteitags sei für die sozialdemokratischen Parlamentarier nicht bindend, erklärte Penner gegenüber dem Hessischen Rundfunk. Jeder Abgeordnete müsse für sich selbst entscheiden, wie er sich in der Asylfrage verhalte. Dabei könne er sich nicht auf Parteibeschlüsse berufen, betonte Penner. Er hoffe, daß der SPD-Sonderparteitag nicht zu einer Entscheidung komme, die auf eine Politik-Verweigerung hinausliefe.
Von der Gewissensfreiheit des Abgeordneten schlug Penner dann souverän den Bogen zur Parteiraison: Wer sich gegen eine Grundgesetzänderung ausspräche, müsse sich auch darüber im klaren sein, daß er sich damit auch gegen Björn Engholm stelle. Von einem Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten, der in einer wichtigen Frage nicht den Rückhalt der Partei finde, könne wahrscheinlich nicht erwartet werden, daß er sich weiter aufreibenden Aufgaben stelle.
Von diesem personalpolitischen Aspekt der Asyldebatte wollte sich jedoch der größte bayerische SPD- Bezirk, Oberbayern, am Wochenende nicht leiten lassen. Auf einem Sonderparteitag in München entschieden sich die Delegierten mit großer Mehrheit gegen die Petersberger Beschlüsse. Der Artikel 16 müsse als einklagbarer Anspruch des einzelnen erhalten bleiben. Vor allem die pauschale Ablehnung von Asylbewerbern über Länderlisten müsse „raus aus Petersberg“, sagte der SPD-Rechtsexperte Klaus Hahnzog. Rückendeckung für eine Grundgesetzänderung erhielt die Parteispitze hingegen auf dem SPD-Bezirksparteitag Oberfranken.
Dennoch will sich Björn Engholm wohl nicht mehr darauf verlassen, daß der Bonner Sonderparteitag im November seine, mit der Autorität des Parteichefs gekoppelte Asyllinie passieren läßt. Engholm plädiert jetzt für einen „verhandelbaren Kompromiß“. Für einen solchen erwärmt sich mittlerweile auch Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, der sich bislang als Kritiker der Asylrechtsänderung profiliert hatte. Bei einem Treffen mit der Parteilinken in der niedersächsischen Landesvertretung am vergangenen Freitag ließ Schröder vage Kompromißbereitschaft erkennen.
Erneut sprach sich Schröder gegen die Einführung von Länderlisten angeblicher Nicht-Verfolgerstaaten aus. Die SPD brauche ein Konzept mit vier Schwerpunkten zur Regelung der Einwanderung. Das seien das Grundrecht auf politisches Asyl, ein eigener Status für den vorübergehenden Aufenthalt von Bürgerkriegsflüchtlingen, eine Regelung des Aussiedlerzustroms und ein Einwanderungsgesetz mit Zuzugsquoten. Trotz der zum Teil „untauglichen“ Vorschläge stehe Engholm als Parteichef und Kanzlerkandidat nicht zur Diskussion, betonte Schröder.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans Ulrich Klose sieht eine Chance, sich auf eine Lösung des Asylproblems zu verständigen, wenn der Partei die Verlagerung der Diskussion von der emotionalen auf die rationale Ebene gelingt. Entgegen den Befürchtungen eines Teils der Mitglieder werde es eine Änderung des Individualrechts auf Asyl mit seiner Partei nicht geben, betonte Klose im Süddeutschen Rundfunk. Es gelte den harten Kern der wirklich politisch Verfolgten früher, schneller und unkomplizierter von jenen zu trennen, die das Asylrecht als Vehikel zur Einwanderung benutzten.
Beinhart bleibt Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter, der seinerzeit als erster prominenter SPD-Kommunalpolitiker die Änderung des Artikels 16 gefordert hatte: „Sollte der Bundesparteitag Björn Engholm im Stich lassen“, so Kronawitter, wären verheerende Wahlniederlagen der SPD programmiert.“
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