: Stasi-Debatte auf andere Weise führen
■ Interview mit dem PDS-Landesvorsitzenden André Brie zu den Konsequenzen seiner Stasi-Mitarbeit/ Der Politiker nimmt an, daß er niemandem geschadet hat/ Entscheidung über Parteivorsitz am Samstag
Berlin. André Brie hat 19 Jahre für die Stasi gearbeitet. Er hat diesen Umstand bei seiner Wahl zum Landesvorsitzenden der PDS im Oktober letzten Jahres verschwiegen und damit gegen einen eindeutigen Beschluß der Partei verstoßen. Laut Satzung müßte nun der Vorstand ihn von seiner Funktion entbinden. Die taz befragte Brie zu den möglichen Konsequenzen.
taz: Herr Brie, wird sich die PDS auf ihrem Landesparteitag am kommenden Samstag einen neuen Vorsitzenden suchen müssen?
Brie: Der Gedanke ist natürlich naheliegend. Ich gehe davon aus, daß die Delegierten sich selbst entscheiden werden und ich meine endgültige Position von der Situation auf dem Parteitag abhängig mache.
Aber Sie haben gegen die Beschlußlage Ihrer Partei verstoßen.
Das ist auch mein Hauptproblem, von daher verstehe ich jede Kritik. Der Parteitag wird entscheiden, wie schwerwiegend er das einschätzt. Ich kann zu meinen Gunsten nur sagen, daß ich, wenn auch viel zu spät, von mir aus an die Öffentlichkeit gegangen bin.
Gegen Sie läuft ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft wegen mutmaßlicher Tätigkeit für den KGB. War dieses Ermittlungsverfahren der Anlaß, der Sie bewogen hat, Ihre Mitarbeit beim MfS zu offenbaren?
Ich war wegen dieses Ermittlungsverfahrens in den letzten Tagen stark in der Öffentlichkeit. Ich dachte mir, wenn dir nicht andere zuvorkommen sollen, wenn du es von dir aus machen willst, mußt du es jetzt tun.
Wenn die Partei an Ihnen als Vorsitzender festhält, heißt das, daß der Beschluß, wonach Parteifunktionäre ihre frühere Stasi- Mitarbeit zu offenbaren haben, revidiert wird? Läutet die Partei damit anderen Umgang mit der Stasi-Belastung ein?
Diese Partei wird die MfS-Diskussion, auch um die Frage der Verantwortung ihrer eigenen Mitglieder, weiter führen müssen. Sehr kritisch, auch gegenüber meiner Person. Wenn sie jetzt andere Positionen einnimmt, wird sie diese Auseinandersetzung auf eine andere Weise fortführen müssen.
War Gregor Gysi über Ihre MfS-Tätigkeit informiert?
Es gab mehrere Menschen, zu denen ich ein enges Vertrauensverhältnis habe, die informiert waren. Es gab viele, die sich das gedacht haben, die mich aufgefordert haben, in die Offensive zu gehen. Diese Menschen müssen sich selber äußern. Gregor Gysi wird auf dem Parteitag sein, er kann sich selber äußern.
Wie charakterisieren Sie Ihre Tätigkeit für das MfS?
Sehr widersprüchlich. Sie begründete sich in meinem Gefühl, daß ich die DDR wollte. Andererseits bin ich in den siebziger und achtziger Jahren zu einer kritischen Position gekommen, das führte in den letzten Jahren der DDR zu Konflikten. Ich weiß heute, daß mit diesen Methoden nichts für eine Alternative getan werden kann. Das ist allerdings eine recht junge Erkenntnis.
Haben Sie anderen geschadet?
Ich denke, nicht. Interview: Dieter Rulff
Siehe Bericht auf Seite 4
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