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Somnamboulevard — Bei Hempels oder anderswo Von Micky Remann

Es soll nicht verschwiegen werden– es soll überhaupt nichts verschwiegen werden –, daß es bei uns einige Damen und Herren gibt, die sich aparte Villen zusammengeträumt haben, in vielen Trancen unterwegs sind und ansonsten im Erdgeschoß eine therapeutische Praxis unterhalten. Sie werden dort von jenen Zeitgenossen aufgesucht, die droben im Wachleben das eine oder andere Dilemma plagt und es hier im Traum zu kurieren hoffen.

Das geschieht unter der weit verbreiteten Annahme, daß das wache Tageserleben doch nicht das folgenlose Mischmasch ist, als welches es so oft empfunden wird, sondern daß es mit tiefen Botschaften, Bedeutungen und Beduinen rappelvoll gepackt ist. Die aber können erst hier im Traum richtig entschlüsselt werden, denn, so lautet unser Credo, nicht der Traum bedarf der Deutung durch den Wachkopp, sondern der Wachkopp bedarf der Deutung durch den Traum.

Wenn zum Beispiel ein junger Mann – ungeträumt – eine Holztür öffnet, hinter der es dampft, und es rufen hundert splitternackte Frauen: „Äi, was soll'n das, heut' ist Frauensauna!“, dann kann diese Episode den Betroffenen bis tief in seine genetischen Strukturen hinein derart peinlich berühren, daß ihm noch im Traum danach die Schamesröte ins somnambule Gesicht steigt und er Hilfe bei der Gemütsentstörung braucht. Dann heißt es nur noch: ab zum Traumtherapeuten!

Einer von denen sitzt gerade vor uns. Sigmund Hempel ist sein Name, und sein Motto lautet: „Was wollen Sie bei Freud auf der Couch – kommen Sie zu Hempels unters Sofa!“ Damit will er ausdrücken, daß die Differenzierung zwischen „auf“ und „unters“ keine zufällige ist, sondern daß sich die erste Liegeposition auf das Ober- und die zweite auf das Unterbewußtsein des Klienten bezieht. „Um es deutlich zu sagen“, sagt Hempel deutlich: „Dein Körper mag oben auf der Couch eingeschlafen sein, doch hängt Dein Bewußtsein, wenn's mit dem Träumen losgeht, an der Unterseite des Sofas rum – bildlich gesprochen, ob bei Hempels oder anderswo. Freud hat nun den Fehler begangen, daß er bei seinen couchlägerigen Leuten zwar dauernd über ihr Unterbewußtsein, aber nie mit demselben redete. Wir Somnambulisten beschreiten den umgekehrten und, wie wir meinen, direkteren Weg: Wir verhandeln live mit dem Unterbewußtsein, während es echt unterbewußt unterm Sofa rumort. Jawohl, wir gehen ran an den brodelnden Traumauflauf, solange er heiß ist, und warten nicht, bis er durchs Sieb der Wachwahrnehmung kaltgepreßt wurde und nur noch vage Reste übrig sind.

Damit das hinhaut, müssen natürlich beide, Therapeut und Klient, sich im Traumzustand befinden und sich dieser Tatsache auch bewußt sein. Aber daß das möglich ist, haben Deine gähnenden Leser, so eingefleischt wach sie sich auch immer wähnen mögen, nach einem Jahr Somnamboulevard inzwischen wohl geschnallt, oder?“

Danke, danke, Dr. Hempel, selbstverständlich, aber was raten Sie unserem immer noch schamesrot träumenden Saunafreund? „Soll nächste Woche wiederkommen“, murmelt Hempel und entzieht sich durch abruptes Aufwachen der weiteren Konsultation.

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