: Mehr Freiheit für Investoren
Bundeskabinett will Aufschwung Ost durch Abschaffung von Bürgerrechten beschleunigen/ Im Baurecht künftig Selbstkontrolle ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Weil die Bundesregierung für den Aufschwung Ost nicht noch mehr Geld einsetzen will, verschleudert sie jetzt ein anderes Guthaben: Die in den vergangenen Jahrzehnten gegen den Verwaltungsstaat durchgesetzten Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sollen auf dem Altar des Aufschwungs Ost geopfert werden. Mehr Freiheit ist künftig ein Privileg für Investoren, wenn es nach dem Zwischenbericht der Arbeitsgruppen „Aufbauhilfe neue Bundesländer“ geht, dem das Kabinett gestern in Bonn zustimmte. Der Bericht sieht beispielsweise vor, daß Bauherren für die nächsten fünf Jahre ökologische Schäden, die sie mit ihren Projekten anrichten, nicht mehr auszugleichen brauchen. Bisher waren sie dazu gesetzlich gezwungen.
Großprojekte wie Erdgaspipelines könnten nach dem Report künftig ohne Bürgeranhörung gebaut werden. Der Tausch Bürgerrechte gegen Wirtschaftsaufschwung wird nach dem Willen des Kabinetts allerdings nicht an der Grenze der neuen Bundesländer haltmachen. Weil die Rezession auch im Westen droht, sollen auch dort zum Beispiel Autobahnen leichter gebaut werden können. Die Bonner Ministerialen wollen das bislang nur im Osten geltende Beschleunigungsgesetz möglichst schnell auch im Westen einführen. Die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht gegen solche Pläne zu klagen, bedürfe dagegen einer weiteren „Verkürzung“.
Auch im Bergrecht, mit dem die Erkundung des Atommüllendlagers Gorleben vorangetrieben wird, wird nach dem Willen der Koalition künftig auf die Planfeststellung mit Bürgerbeteiligung verzichtet werden. Statt dessen ist nur noch ein „einfaches Genehmigungsverfahren vorgesehen“. Die Länder werden aufgefordert, zugunsten eines erhofften Baubooms auf die Kontrolle geltender Gesetze zu verzichten und die „Einhaltung der Bauvorschriften und technischen Vorschriften weitgehend der Verantwortung freiberuflich tätiger Architekten zu überlassen“. Außerdem sollen sie für zwei Jahre die Einhaltung der Wärmeschutzverordnung und der Heizungsanlagenverordnung bei Neubauten nicht mehr prüfen. Beide Verordnungen sind zentrale Elemente jeder Klima- und Luftreinhaltepolitik.
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