: Grenzer tun ihre Pflicht
■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit: Kurde abgeschoben - BGS nimmt ihm sogar noch das "Schmiergeld" ab
: Kurde abgeschoben — BGS nimmt ihm sogar noch das »Schmiergeld« ab
Murat ist Kurde, er war Asylbewerber und ist inzwischen rechtskräftig abgelehnt. Bei der Einreise in die BRD war er allerdings etwas cleverer als andere seiner Landsleute. Er hat nämlich nicht nur den Nüfus mitgebracht, den türkischen Personalausweis, sondern auch einen türkischen Reisepaß. Da AsylbewerberInnen bei der Asylantragstellung normalerweise alle Ausweisdokumente abgeben müssen, sind sie nach einer Ablehnung hilflos der Abschiebebehörde ausgeliefert: Entweder sie kommen in Abschiebehaft oder sie erklären sich bereit, freiwillig auszureisen. In beiden Fällen jedoch werden die Ausweispapiere erst am Flughafen wieder ausgehändigt. Der Mensch könnte sich ja sonst anderswo hinflüchten. Kaum allerdings sind die AsylbewerberInnen im Flugzeug, so werden ihnen die Ausweispapiere von Grenzschutzbeamten wieder abgenommen. Ohne Papiere können sie jedoch in Istanbul oder Ankara die Sperre auf dem Flughafen nicht passieren. In den meisten Fällen ist auch noch Schmiergeld für die türkischen Beamten nötig. In der Praxis werden die abgeschobenen AsylbewerberInnen dann vom BGS direkt der türkischen Polizei ausgeliefert. Das bedeutet automatisch einige Tage Polizeigefängnis. Das türkische Recht läßt 15 Tage Polizeihaft zu, bevor ein Anwalt oder Angehörige informiert werden müssen. Daß in Polizeigefängnissen gefoltert wird, insbesondere in Istanbul und Ankara, ist bekannt.
Murat kannte die ganze Geschichte des Abschiebeverfahrens von anderen Landsleuten. Aus diesem Grunde gab er bei der Asylantragstellung nur seinen türkischen Nüfus ab, behielt jedoch den Reisepaß. Nachdem das Asylverfahren nun abgelehnt worden war, wollte er mit dem türkischen Reisepaß ausreisen. Eigentlich sollte man er-
1warten, daß staatliche Stellen sich freuen, wenn ein Kurde das Land verläßt. Davor ist jedoch der staatliche Strafanspruch. Es wurde nämlich festgestellt, daß in Murats Reisepaß kein bundesdeutsches Visum ist. Also könnte er sich möglicherweise illegal hier aufgehalten haben. Er wurde zunächst festgehalten. Seine Daten wurden in den Computer eingegeben, dann festgestellt, daß er abgelehnter Asylbewerber ist und schon vor einigen Wochen hätte ausreisen müssen. Also hat er sich illegal hier aufgehalten. Die Staatsanwaltschaft wurde informiert. Die erste Frage des zuständigen Oberstaatsanwaltes am Telefon war, wieviel Geld Murat denn in der Tasche habe. Murat war selbstverständlich durchsucht worden und es waren 420 Mark gefunden worden. Daraufhin verfügte der Staatsanwalt die Beschlagnahme des Geldes. Er erklärte, dies sei eine ausreichende Sicherheit für eine zu erwartende Verurteilung. Nachdem diese Sicherheit beschlagnahmt sei, könne Murat ausreisen. Murat mußte sich nunmehr mit seinem Paß ohne einen Pfennig Geld in der Tasche ins Flugzeug begeben. Zwar wurde ihm zufällig der Reisepaß nicht abgenommen, jedoch kam es zu Schwierigkeiten bei der türkischen Grenzkontrolle in Istanbul. Denn auch die türkischen Militärs stellten fest, daß Murat für die BRD kein Visum im Paß hatte, also illegal da war. Normalerweise ist eine solche Panne mit einigen Geldscheinen (ausländischen Devisen) zu beheben. Diese jedoch hatte der BGS auf Anweisung der Hamburger Staatsanwaltschaft Murat abgenommen. Damit war auch für Murat die Reise ins Polizeigefängnis vorprogrammiert. Er wurde mit Knüppeln geschlagen, bekam die Falaka (Schläge auf die Fußsohlen) und mußte barfuß in Salzwasser mit Glasscherben laufen. Staatsanwälte und Grenzschützer beeindruckt dies sicher nicht. Sie tun ja nur ihre Pflicht für Deutschland. Sie merken nicht einmal, daß sie durch diese Auslieferung an die türkische Polizei neue Asylgründe produzieren. Denn spätestens bei Auslieferung von abgeschobenen AsylbewerberInnen liegt in der Türkei politische Verfolgung vor. Daß bundesdeutsche Gerichte dies auch so sehen, ist allerdings offensichtlich zuviel verlangt. justus
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