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„Stolpes Reden mit doppelter Zunge“

Vor dem Potsdamer Untersuchungsausschuß belastet der Bundestagsabgeordnete Rainer Eppelmann den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe schwer  ■ Aus Potsdam Wolfgang Gast

Rainer Eppelmann, einer der am meisten von der Stasi verfolgten Pfarrer in der DDR, hat den früheren Konsistorialpräsidenten der Evangelischen Kirchen, Manfred Stolpe, schwer belastet. Vor dem Untersuchungsausschuß in Potsdam warf der heutige CDU- Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Enquete-Kommission des Bundestages dem Brandenburger Ministerpräsidenten vor, er sei „objektiv kompromittiert“. Die vielfältigen Gespräche Stolpes mit den Vertretern des Staats- oder Parteiapparates hätten nicht, wie Stolpe behauptet, in jedem Fall dazu gedient, „den Menschen zu helfen“. Stolpe habe vielmehr allzu häufig die Mitarbeiter der Staatssicherheit „vorab“ über Interna der Kirchen unterrichtet. Nach Eppelmanns Auffassung sind Stolpes Kontakte „weit über das hinaus gegangen, was sein Auftrag, was Sitte und Moral zugelassen haben“.

Bis zur Wende, berichtete Eppelmann, habe er dem Kirchenfunktionär vorbehaltlos vertraut. Häufig, wenn es um „brenzliche“ Angelegenheiten gegangen sei, habe er den Kirchenjuristen zu Rate gezogen. Er habe Stolpe seinerzeit als „fairen und hilfsbereiten“ Gesprächspartner erlebt.

Mit der Akteneinsicht Anfang Januar ist für Rainer Eppelmann das Bild Manfred Stolpes aber nach und nach in Frage gestellt worden. Er habe zunehmend feststellen müssen, „da gab es offensichtlich Reden mit doppelter Zunge“. So habe er beispielsweise aus den Stasi-Akten erfahren, daß Stolpe einen kritischen „Berliner Appell“ Eppelmanns persönlich zwar unterstützt hatte, ihn im gleichen Atemzug bei den staatlichen Stellen als „unverantwortlich und friedensgefährdend“ denunziert hat. Der schwerwiegendste Vorwurf, „der Verrat“, den Rainer Eppelmann gegen den Konsistorialpräsidenten erhebt, gründet sich vor allem auf einen Treffbericht des „IM Sekretär“, den die MfS- Offiziere Klaus Roßberg und Joachim Wiegand am 18.Januar 1984 in der konspirativen Wohnung „Hagen“ entgegennahmen. Eppelmanns staatskritisches Engagement, insbesondere die von ihm veranstalteten „Bluesmessen“ hatten in den Wochen und Monaten zuvor nicht nur den Staatssekretär für Kirchenfragen auf den Plan gerufen. Staatssekretär Klaus Gysi formulierte am 17.Januar gegenüber den Bischöfen Hempel und Forck die staatliche Erwartungshaltung unmißverständlich. Pfarrer Eppelmann, sagte Gysi den Kirchenfunktionären, werde der „landesverräterischen Nachrichtenübermittlung“ beschuldigt — der Generalstaatsanwalt wolle „ein Ermittlungsverfahren mit Haft gegen Eppelmann sofort einleiten“. Die Beweislage „sei eindeutig“, hielt Gysi den Akten zufolge den Kirchenmännern vor. Nur im Interesse eines sachlichen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche sei es ihm gelungen, einen Aufschub zu erreichen.

Wie aus den Akten hervorgeht, sprach Klaus Gysi Klartext: Er gebe „Bischof Forck 8 Tage Zeit, die erforderlichen Schritte einzuleiten“. Eppelmann sollte binnen einer Woche einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD stellen, anderenfalls drohe ihm eine jahrelange Haft. Die erforderlichen Schritte sondierten tags darauf im evangelischen Konsistorium die Vertreter der Kirchenleitung Berlin-Brandenburgs, Stolpe, Winter und Pettelkau, mit dem beschuldigten Eppelmann und dessen Ehefrau. Der „IM Sekretär“ berichtete noch am gleichen Tag seinen Führungsoffizieren von diesem Gespräch. Oberstleutnant Roßberg, der heute vor dem Ausschuß als Zeuge zu den genauen Umständen der Verleihung der DDR-Verdienstmedaille an Stolpe aussagen soll, hielt danach schriftlich fest: „Eppelmann fühle sich ungerecht beurteilt und behandelt“. Während das Ehepaar durch den Probst Winter am Ende des Gesprächs zum „absoluten Schweigen“ verpflichtet wurde, plauderte der Informant ungeniert auch über die familiäre Situation des Kirchenkindes Eppelmann: „Die Ehefrau von Eppelmann teilte nicht in jeder Hinsicht die Position von ihrem Ehemann. Sie zeigte Bereitschaft, im Interesse der 'Familie‘ nachzugeben“. Eppelmann kommentierte den Vorgang gestern mit dem Satz, er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, „daß Stolpe der Staatssicherheit mehr vertraut hat als uns“.

Noch am gleichen Tag hatte auch die Kirchendelegation das Treffen mit Eppelmann ausgewertet. Bitter war es für den Pfarrer, als er im gleichen Treffbericht die von der Stasi aufgezeichneten Worte des „IM Sekretär“ nachlesen mußte. Eppelmann „setze alles auf eine Karte“, heißt es in den Akten, die Eppelmann dem Ausschuß vorlas, „er wolle, daß erst einmal 'alles auf den Tisch‘ komme und er sich in einer eventuellen Haft als 'Held‘ profilieren könne. Im Stasi- deutsch wurde in diesem Vermerk weiter „eingeschätzt“: „Darüber, daß Eppelmann 'weg‘ müsse, seien sich alle in der Kirchenleitung einig. Ohne weiteres ging das aber nicht. Laut Stasi-Akten teilte die Quelle „IM Sekretär“ den Führungsoffizieren weiter mit, es sei bereits beabsichtigt gewesen, Eppelmann in einer anderen Landeskirche unterzubringen, ihn als Superintendenten „nach Angermünde oder Bad Wilsnach“ zu bugsieren. Dort habe man ihn aber „ausgepfiffen und empört eine Ablehnung bereitet“. Stolpe und andere Kirchenfunktionäre haben nach Auffassung Eppelmanns damit nicht nur das vereinbarte Schweigegebot verletzt – sie haben sich damit zu „Handlangern einer ganz schlimmen Sache gemacht“. Von den vielen Gesprächen Stolpes mit den Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes hat Eppelmann erst nach der Wende erfahren. „Das hat mich wie ein Hammer getroffen“, sagte er gestern. Das Vertrauen in Stolpe ist für ihn seither „weg“.

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