piwik no script img

Der „Lear“ bleibt ungespielt

■ Der Schauspieler Wolf Kaiser ist tot/ Sprung aus dem Fenster/ Brechts Regiekonzept am Berliner Ensemble fand in seiner Diktion seinen Ausdruck

Berlin. Sein Traum, noch einmal als „Lear“ auf der Bühne zu stehen, den er vor einem Jahr auf der Festveranstaltung des Berliner Ensembles zu seinem 75. Geburtstag äußerte, ging nicht in Erfüllung. Jetzt setzte Wolf Kaiser seinem Leben mit einem Sprung aus dem Fenster seiner Wohnung in der Friedrichstraße ein Ende. „Wenn ein mit so großer Gestaltungskraft gesegneter Mensch wie Wolf Kaiser seinem Leben ein Ende setzt, so muß uns das mit großer Betroffenheit erfüllen“, erklärte Kultursenator Roloff-Momin und würdigte Kaiser als einen der bedeutendsten Schauspieler der Stadt, der ihr künstlerisches Gesicht mitgeprägt habe.

In der DDR war der Schauspieler Wolf Kaiser, der sich in seiner Jugend als Hilfsarbeiter und Kellner durchschlug, eine der großen Schauspielerpersönlichkeiten. Zwanzig Jahre lang, von 1950 bis 1970, gehörte er dem Berliner Ensemble an. Bert Brecht selbst hatte ihn entdeckt. Kaiser wollte für einen Freund einspringen; sprach darum bei Brecht vor, der ihn sofort engagierte. Er begann seine Karriere in einer Zeit, als am Berliner Ensemble noch alles in Bewegung, noch Experiment war, die Lehrstücke noch Versuche über das Leben waren und noch nicht Erstarrung ausstrahlten.

Auf unzähligen Bühnen, so in Paris, in Stockholm oder Venedig hat Kaiser gestanden, hat Lob für seine schillernde Vielschichtigkeit und überraschenden Rollenauffassungen erhalten. In London, wo er ebenfalls arbeitete, verglich man ihn mit Laurence Oliver. Dennoch war der Mittelpunkt von Kaisers Arbeit das Berliner Ensemble, wo er als der Communarde Papa in „Die Tage der Commune“ ebenso glänzte wie als Feldprediger an der Seite Helene Weigels in „Mutter Courage“ oder als Menenius Agrippa in Shakespeares „Coriolan“. Als Brecht-Interpret war Kaiser nahezu unübertroffen; Kritiker hoben hervor, das Regiekonzept Brechts fände seinen direktesten Ausdruck in der Diktion Kaisers.

Der Fall der Mauer bedeutete auch für Kaiser einen Bruch. Es wurde still um ihn; zuletzt trat er in der Schweiz als der „weise Seher“ in Sophokles „Antigone“ auf die Bühne. Der Grund für seinen Freitod waren offenbar Depressionen. Die befreundete Regisseurin Ingrid Fausek erklärte, Kaiser habe „kapituliert vor einer Welt, die immer kälter wurde“. gn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen