: Minutiöse Abwehrschlacht
Wie plante die Stasi beim Aufbruch der Humboldt-Studis? ■ tazexklusiv
Tags zuvor traf man sich beim Genossen Harry Smettan, dem SED-Kreissekretär und de facto mächtigsten Mann der Humboldt- Universität. Ein kleiner Kreis – SED, FDJ, Rektoren, Stasi – beriet darüber, wie die FDJ eine wenige Tage vorher gestartete studentische Initiative wieder unter ihre Fuchtel bekommen könnte.
„Es ist zu verhindern, daß es zu einer größeren Zusammenkunft auf dem Meetingplatz der Humboldt-Universität kommt“, notierte der zuständige Stasi-Oberstleutnant Seyferth, wie die Genossen die Studentenversammlung am 17. Oktober 89 „politisch sichern“ wollten. Aus seinem Protokoll kann die taz hier erstmals zitieren. „Es ist politisch zu verhindern die Gründung einer selbständigen Studentenvereinigung.“ Dieses wichtigste Ziel ihrer Übereinkunft erreichten die Genossen nicht. Zwar gelang es der FDJ tatsächlich, die im Uni-Hof versammelten 6.000 Studierenden in verschiedene Hörsäle zu dirigieren, wo diese – so ein damals verteilter Handzettel der FDJ – „zur Diskussion sprechen“ durften. Aber dort lief so einiges anders, als von der Partei gewünscht, wie aus der taz vorliegenden Spitzelberichten hervorgeht.
Im Kinosaal wurde „erstmal der von der FDJ-KL bestimmte Diskussionsleiter (FDJ-GO-Sekretär/ WiWi) gekippt“, berichtete ein IM der Stasi. Die Atmosphäre an der Uni schätzte er als mies ein: „Viele fühlen sich von der FDJ als Student nicht richtig an der Universität vertreten. [...] Diese Stimmung, etwas verändern zu wollen, ist überall verbreitet [...] Ein Glück, daß sich bis jetzt noch keine (oppositionelle, Red.) Integrationsfigur für die Studenten gefunden hat.“ Eine Abwehrschlacht sei es für die FDJ gewesen, resümierte der IM das Geschehen am 17. Oktober 89.
Er behielt recht. Schon wenige Tage später gründete eine Gruppe Studierender eine unabhängige Studentenvertretung. Überall an der Uni verteilte sie Handzettel, auf denen ebenso mutig wie witzig stand: „Vorsicht StuVe!“ (Studenten-Vertretung, Red.)
Das von den Genossen an der Humboldt-Uni und der Stasi entworfene Szenario des 17. Oktober 89 mißlang trotz einer ganzen Palette von Maßnahmen: Falls es zu „Konzentrationen universitätsfremder Personen“ gekommen wäre, hätte sie Harry Smettan durch seine Einsatzreserve („50 Genossen der HUB, Kampfgruppenmitglieder in zivil“) mit „politischen Mitteln“ auflösen wollen. Der Prorektor für Gesellschaftswissenschaften, Dieter Klein, sollte Experten instruieren, die am 17. Oktober zu Rechtsstaatlichkeit, sozialistische Demokratie und Umweltschutz „als Ansprechpartner eingesetzt“ werden sollten. Die FDJ versprach ihre – recht schnell abgesetzten – Studentensprecher einzuweisen. So plante es, laut Stasi, die Runde um Harry Smettan.
Heute befaßt sich eine studentische Arbeitsgruppe mit den Stasi- Strukturen an der Humboldt-Universität. „Es zeigt sich, daß die Stasi den einsetzenden Prozeß nicht mehr bremsen konnte“, meint Carlo Jordan, der zu DDR- Zeiten von der Uni geschmissen wurde und jetzt zu den Aufarbeitenden zählt. Die Stasi habe zwar über fast alles Bescheid gewußt. Aber die von ihr praktizierte Methode der Zersetzung habe die studentische Bewegung nicht mehr bremsen können, sagt Jordan. Weil die SED sich als entscheidungsunfähig erwiesen habe, meint hingegen die Historikerin Hanna Labrenz-Weiß, sei die Stasi ab einem bestimmten Zeitpunkt ohnmächtig gewesen. Labrenz- Weiß arbeitet in der Abteilung Bildung Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Sie hat eine Studie über die Stasi-Strukturen an der Humboldt-Universität verfaßt, auf deren Veröffentlichung die Uni und die Öffentlichkeit gespannt sein dürfen. Christian Füller
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