: Bestien im Schafspelz fressen Grüne Insel auf Von Ralf Sotscheck
Kein Fotoband über Irland, kein Werbeprospekt der irischen Fremdenverkehrszentrale und kein Dokumentarfilm ohne eine Herde harmloser Schafe, die friedlich auf einer grünen Weide grasen. Das Bild trügt. In Wirklichkeit sind die niedlichen Horntiere heimtückische Bestien, die langsam, aber sicher, die Grüne Insel auffressen. Die kargen Reste des Landes werden über kurz oder lang in den Fluten des Atlantiks versinken. Zu dieser pessimistischen Einschätzung kam die Universität Galway: „Intensives Grasen führt zur Vernichtung von Heidekraut, Gräsern und Moos“, heißt es in dem Bericht. „Das Ergebnis ist unweigerlich eine Erosion des Bodens.“ Die Schafzüchter stecken mit den wollenden Schädlingen unter einer Decke: Heimlich haben sie in den vergangenen fünf Jahren die Zahl der Tiere auf knapp 9 Millionen verdoppelt — bei 3,5 Millionen Einwohnern in der Republik Irland. Und es kann nur noch schlimmer werden: Die Zahl der Zippen — das sind die Mutterschafe — hat sich im selben Zeitraum gar verdreifacht. Finanziert wird die Schafplage von der Europäischen Gemeinschaft. Im vergangenen Jahr erhielten Irlands Schäfer Kopfprämien von insgesamt 61,5 Millionen Pfund (165 Millionen Mark). Die Durchschnittsherde auf einem Durchschnittsweidehügel beträgt 117,2 Zippen. Das bringt dem Durchschnittsschäfer über 3.500 Pfund im Jahr ein. Dazu kommt noch mal dieselbe Summe aus dem Verkauf der Lämmer.
Spät, vielleicht zu spät, ist man in Brüssel jetzt aufgewacht. Die Kopfprämien wurden in diesem Jahr um 30 Millionen Pfund gekürzt. Das nehmen die Züchter und ihre vierbeinigen Tatwerkzeuge freilich nicht kampflos hin. Der Verband der Schafzüchter warnte die irische Regierung vor einem „heißen Winter“. Einen Vorgeschmack gab es in der vergangenen Woche, als 6.000 Schäfer durch Dublin marschierten — die größte bäuerliche Demonstration seit Jahren. Die Schäfer hatten ein sechs Meter hohes Holzschaf auf Rädern mitgebracht — eine deutliche Warnung, daß die Stummelschwänze auch vor der Hauptstadt nicht haltmachen werden, falls man sich ihnen nicht fügt. Die Polizei, die das gehörnte Ungetüm offenbar für ein trojanisches Pferd hielt, hatte strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Nur zu gut erinnerte man sich an die letzte Demonstration im Juni, als die wütenden Bauern Dutzende von Schafen in das Landwirtschaftsministerium trieben und dort ein Chaos anrichteten. Die Beamten, die bis dahin nur auf dem Papier mit den Tieren konfrontiert waren, klagten wochenlang über einen bestialischen Gestank. Diesmal hinterließen die Demonstranten jedoch lediglich einen aufgespießten Schafskopf vor dem Büro der EG-Kommission.
David Hickey von der staatlichen Umweltschutzorganisation An Taisce hat einen genialen Lösungsvorschlag, um die Grüne Insel vor dem Verspeistwerden zu retten: Die Schäfer sollen ihre Herden halbieren, aber in die Subventionsanträge weiterhin den vollen Bestand eintragen. Doch wohin mit den 4,5 Millionen überflüssigen Viechern? Es gibt nur eine Lösung: Die Bevölkerung muß den Spieß umdrehen und mindestens zweimal täglich Irish Stew essen.
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