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Beinahe kollabiert vor Angst

Der 1.FC Köln erzittert sich einen 3:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart und Frank Ordenewitz und Jörg Berger fassen sich an den Kopf  ■ Aus Köln Thomas Lötz

Nach zweiundsechzig Minuten kehrte das Trauma in die Köpfe der Spieler des 1.FC Köln zurück. Angst. Die Angst, die sie in dieser Saison so oft schon gespürt hatten. Das Gefühl, ein Fußballspiel einfach nicht mehr gewinnen zu können, es wieder einmal verlieren zu müssen. Beim Verlassen des Stadions — von Pfiffen und Schmähungen begleitet — gedankenleer in die Mikrophone und Diktierblöcke zu laufen und das gewohnte Bild erklärungsloser Hilflosigkeit abzugeben. Später dann im Fernsehen den Kameraschwenk hinunter auf Platz 18 der Tabelle miterleben und dann nur noch hoffen, daß sich da irgendwo irgendwer geirrt hat, das das alles eine Erfindung ist, daß ich eigentlich gar nicht der Verteidiger des 1.FC Köln Alfons Higl bin, sondern in Wirklichkeit Erika Mustermann heiße.

In der ersten Stunde des Bundesligaspiels gegen den VfB Stuttgart hatten die Kölner dem Gegner mit großem Kampf ihr Spiel aufgezwungen. In Ermangelung technischer Brillanz hetzten sie den deutschen Meister über den Platz und droschen dabei sogar noch eine 2:0-Führung heraus. Maurizio Gaudino sah für ein Handspiel auf der Torlinie die rote Karte, Frank Ordenewitz hämmerte den Elfmeter mitten ins Tor. Kurz vor der Pause legte Pierre Littbarski den zweiten Treffer nach. Der VfB war besiegt.

Sechzig Minuten lang glaubten die Kölner Spieler auch über ihre Psychose triumphiert zu haben. Doch dann segelte ein unschuldig wirkender Freistoß von Andreas Buck in den Rücken der Kölner Abwehr und Eyjölfur Sverrissons Kopfballtor war das Fanal. Das Zittern um den Sieg, das nun einsetzte, rief die Erinnerung an das Versagen wach. Der FC schien zu kollabieren. Die Umrisse schwanden und der Ball flog plötzlich anders als noch kurz zuvor, wurde unkontrollierbar. Das Spiel kippte.

Die verbliebenen Stuttgarter Feldspieler bestürmten nun in einer eindrucksvollen Verbindung aus letzter Hoffnung und großem Willen den Kölner Strafraum. Guido Buchwald spielte längst keinen Stopper mehr, sondern drang, assistiert von Libero Dubajic, immer wieder energisch durch das Mittelfeld nach vorne. Der VfB wollte den Ausgleich und im Stadion schien die Ahnung Raum zu greifen, daß die Schwaben, sollten sie den erst mal erreicht haben, auch noch gewinnen würden. Doch Sverrisson und Knup schossen am Tor vorbei. Zudem traf der im gesamten Spiel ohne nachvollziehbare Linie agierende Schiedsrichter Kasper kuriose Entscheidungen zu Ungunsten der Stuttgarter. So pfiff er einige der vom VfB gewonnenen Kopfballduelle in Tornähe wegen angeblichen Aufstützens ab und verteilte stattdessen freundlich entlastende Freistöße an die Gastgeber.

Die Schwaben sahen sich schließlich auch der allerletzten Chance auf zumindest einen Punkt beraubt, als Frank Ordenewitz nach einer Flanke von Karsten Keuler mit einem Seitfallzieher an den Innenpfosten seinen siebten Saisontreffer markierte. Das Zittern der Kölner fand erst einmal sein Ende, die Angst vor sich selbst war fürs erste besiegt. Otze blieb nach seinem Tor erschlafft liegen und faßte sich an den Kopf. Trainer Jörg Berger sprang von seinem Sitz auf und faßte sich ebenfalls an den Kopf. So reagieren Menschen in Momenten, in denen völlig unerwartet großer Druck von ihnen abfällt.

Überhaupt der Kopf. Dort liegt tatsächlich, und das hat das Spiel gegen den VfB Stuttgart erneut gezeigt, das derzeitige Problem des 1.FC Köln. Nur wenn es gelingt, die verinnerlichte Angst vor dem Versagen aus den Köpfen der Spieler zu entfernen, wird die Zukunft der Mannschaft und des Trainers auch 1993/94 in der höchsten Spielklasse liegen. So darf und muß Jörg Berger weiterhin den Therapeuten spielen. Mit einer ersten, wenn auch recht laienhaften Diagnose konnte er bereits eine halbe Stunde nach Spielende aufwarten: In der jetzigen Situation spiele „sich unwahrscheinlich viel im Kopf ab“.

VfB Stuttgart: Immel - Dubajic - Uwe Schneider, Buchwald - Buck, Strunz (45. Knupp), Gaudino, Sverrisson, Kögl - Golke, Walter (72. Frontzeck)

Zuschauer: 25.000, Tore: 1:0 Ordenwitz (34.-Foulelfmeter), 2:0 Littbarski (44.), 2:1 Sverrisson (61.), 3:1 Ordenewitz (89.)

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