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Weltweite Entwicklung gibt Separatisten Auftrieb

■ Interview mit Prof. Danielle Juteau vom „Center for Ethnic Studies“ in Montreal

taz: Frau Juteau, was passiert im Falle eines „Nein“ zum Verfassungsentwurf? Wird die Debatte erst einmal aufgeschoben – wie manche hoffen und fordern –, oder rückt die Spaltung des Landes in greifbare Nähe?

Juteau: Die Debatte wird vor allem in Quebec weitergehen. Und es wird in erster Linie eine Diskussion zwischen denen, die das „Nein“ in ein Votum für die Abspaltung uminterpretieren, und denjenigen Quebecois, die gegen den Verfassungsentwurf gestimmt haben, aber weiter Teil Kanadas bleiben wollen. Nach meiner Einschätzung wird es aber immer schwieriger, in diesem Konflikt zwischen Quebec und dem Rest des Landes noch einen Kompromiß auszuhandeln. In Quebec setzt sich immer stärker die Argumentation durch: „Nationen haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Quebec ist eine Nation – also muß sie unabhängig werden.“ Dabei sollte man berücksichtigen, daß sich auch in Quebec in den letzten Jahrzehnten das Konzept einer pluralistischen Gesellschaft durchgesetzt hat. Ob es nun zur Unabhängigkeit der Provinz kommt oder nicht: Der politischen Elite ist klar, daß die Idee einer „eigenständigen Gesellschaft“ nicht nur für die frankophonen Kanadier gilt, sondern auch für die Minderheiten in Quebec. Diese Entwicklung ist vor allem durch den politischen Widerstand der Ureinwohner, aber auch der Immigranten herbeigeführt worden. Auf diese Gruppen hört man inzwischen – schließlich repräsentieren auch sie Wählerstimmen. Aufgrund dieser Perspektive bin ich nicht ganz so skeptisch, was eine mögliche Abspaltung Quebecs betrifft.

Eine Sezession scheint aber schon aus ökonomischen Gründen selbstmörderisch. Entsprechend einer Studie der „Royal Bank of Canada“ würden in diesem Fall der Lebensstandard sinken und außerdem ein Exodus qualifizierter Arbeitskräfte einsetzen...

Diese Aussichten halte auch ich für beängstigend. Es gibt aber inzwischen andere Studien, die dem widersprechen. Ich bin keine Ökonomin und kann das nur schwer beurteilen. Fest steht, daß die Frage der wirtschaftlichen Konsequenzen wie alle anderen Aspekte von den Experten in der öffentlichen Diskussion in ein verwirrendes Für und Wider zerlegt werden. Für viele Laien entsteht so der Eindruck, daß hier nicht mehr die Fakten zählen. Es geht um die Konstruktion von Szenarien, um Mehrheiten für die eine oder andere Position zu erzeugen.

Lassen sich Parallelen zur Entwicklung in Osteuropa ziehen?

Hier bahnt sich kein zweites Jugoslawien an, wie manche Befürworter des Referendums der Schockwirkung wegen behauptet haben. Wenn überhaupt, lassen sich die Ereignisse in Kanada mit denen in der CSFR vergleichen. Es gibt allerdings einen Unterschied: Quebec ist heute eine moderne industrialisierte Gesellschaft. Eines läßt sich mit Sicherheit sagen: Die internationale Entwicklung gibt den Befürwortern einer Abspaltung Quebecs Auftrieb; man plädiert für kleinere, überschaubare Gesellschaften.

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