: Litauens Minderheiten stimmen für Brazauskas
■ Arbeiterpartei will keine Rückkehr unter Moskauer Kuratel/ Warschauer Ängste
Warschau (taz) – „Litauen wird seine außenpolitischen Verpflichtungen“ erfüllen. Mit dieser Erklärung versuchte der Vorsitzende der ehemals kommunistischen „Litauischen Demokratischen Partei der Arbeit“ (LDPA), Algirdas Brazauskas, einen Tag nach seinem überraschenden Wahlsieg – in Höhe von über 40 Prozent – die Befürchtungen seiner rechten Gegner zu zerstreuen. Konkret heißt dies: Ebenso wie ihre Vorgängerin wird auch die neue litauische Regierung auf einen frühestmöglichen Abzug der sowjetischen Truppen aus der baltischen Republik drängen. Eine Rückkehr unter Moskauer Kuratel werde es nicht geben, versprach Brazauskas. Er bot der unterlegenen Nationalbewegung Sajudis eine große Koalition an.
Sajudis, die bei den Parlamentswahlen nur etwa 20 Prozent der Stimmen erhalten hat, äußerte sich dazu bisher nicht. Parlamentspräsident Landsbergis, der von Sajudis unterstützt wird, lehnte eine solche Koalition dagegen ab: „Man braucht doch eine Opposition“, erklärte er.
Ersten Analysen zufolge hatten sowohl die Kandidaten der LDPA als auch die Partei selbst als Liste in fast allen Wahlkreisen die Nase vorn. Lediglich in Kaunas erzielte Sajudis ein besseres Ergebnis. Im Landkreis von Vilnius dagegen, wo die meisten Angehörigen der polnischen Minderheit wohnen, wurde der „Bund der Polen in Litauen“ drittstärkste Partei – allerdings auch nach LDPA und Sajudis, da viele Polen ebenso wie Russen für die Linke stimmten. Die zwei polnischen Abgeordneten des „Bundes“ gelten zusammen mit den Sozialdemokraten (knapp 7 Prozent), auf deren Liste auch ein Pole gewählt wurde, als potentielle Bündnispartner der LDPA.
Die von der Kirche unterstützten Christdemokraten stehen dagegen Sajudis näher. Zu entsprechenden Verhandlungen dürfte es jedoch nach der zweiten Wahlrunde in zwei Wochen kommen, da in einigen der insgesamt 71 Einerwahlkreisen noch Stichwahlen stattfinden müssen. Am Sonntag hatte dort keiner der angetretenen Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht. In den meisten Einerwahlkreisen führten allerdings die Kandidaten der LDPA.
Gerüchte, wonach Sajudis das Wahlergebnis nicht anerkennen, und die Macht gewaltsam behalten wolle, bestätigten sich indessen nicht. Zwar äußerten sich einzelne Vertreter der unterlegenen Parteien zum Teil recht drastisch, doch gratulierte auch Landsbergis seinen Gegnern inzwischen zum Wahlerfolg.
Vertreter der Grünen sprachen von einem „Anfall geistiger Umnachtung“, der die Wähler getrieben habe, Litauens noch amtierender Justizminister gar von „Wählerbetrug“. Ähnlich hysterische Reaktionen zu Litauen gab es auch in Warschau. Das inoffizielle Organ der Zentrumspartei, die Tageszeitung Nowy Swiat, forderte eine schnelle Ankoppelung Polens an die Nato, da jenseits der östlichen Grenzen nun ein „postkommunistischer Block“ entstehe. Moskau sei dabei, seine Machtpositionen zurückzuerobern, fanden auch rechtsgerichtete Politiker in Polen. Für sie ist das Wahlergebnis doppelt peinlich: einerseits sind jenseits der Grenze nun zwar Exkommunisten an die Macht gekommen, andererseits kann man aber nur von diesen eine Verbesserung der Lage der polnischen Minderheit in Polen erwarten, die von den Sajudis-Regierungen häufig als Fünfte Kolonne Polens schikaniert wurde. Viele Polen haben deshalb auch für Sozialdemokraten und LDPA gestimmt.
Positive Reaktionen auf den Sieg der Arbeiterpartei sind auch in Moskau zu erwarten. Zwar hat Brazauskas erklärt, seine Partei werde auf keinen Fall den Eintritt Litauens in die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ betreiben, doch steht seine Partei für eine flexiblere Verhandlungslinie in der Frage des Rückzugs der Roten Armee. Gegen den GUS-Eintritt hatte sich das litauische Parlament erst vor wenigen Wochen entschieden – mit den Stimmen der LDPA. Klaus Bachmann
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