: Die Das-Beste-kommt-noch-Einstellung
■ Sonic Youth, auch als Superstars noch unverdorbene Künstler, kommen am 18./19.11. ins Docks
INTERVIEW
Die Das-Beste-kommt-noch-Einstellung
Sonic Youth, auch als Superstars noch unverdorbene Künstler, kommen am 18./19.11. ins Docks
Das Ehepaar Kim Gordon und Thurston Moore begann zu Anfang der 80er Jahre, beeinflußt von den monströsen Gitarren-Klang-Collagen Glenn Brancas, sein Konzept zu entwickeln. Mit dem zweiten Gitarristen Lee Ranaldo und zunächst wechselnden Schlagzeugern erwies sich die Besetzung nach Beatles-Vorbild als ideal. Während der folgenden Jahre führte das Quartett sein Kompositionsprinzip, eine drängende Rock-Rhythmik unter einen Schwall aus kalkulierten Dissonanzen und krachigen Rückkopplungen zu legen, zur Blüte. Auf den Platten „Evol“ und „Sister“ streuten Sonic Youth bestürzende Song-Fragmente mit Sinn für Pathos ein und lieferten musikalische Underground-Definitionen. Für das Projekt „Ciccione Youth“, geboren aus der Begeisterung für Madonna, erarbeitete die Gruppe Coverversionen des Brat-Pack-Stars. Alle Mitglieder gehen noch anderen Projekten nach: Thurston Moore und der seit 1986 fest eingestellte Schlagzeuger Steve Shelley gründeten mit dem New Yorker Sänger und Poeten Richard Hell die Dim Stars. Lee Ranaldo beteiligte sich an Avantgarde- Performances und produzierte das Frauen-Trio Babes in Toyland. Kim Gordon ist Teil des Gitarren-Duos Kitten, das die Innovationsstürme der Stammgruppe noch am ehesten seine Songs durchwehen läßt. Nach der neuen Platte „Dirty“, beim Major-Lable Geffen veröffentlicht, befragte Kristof Schreuf Lee Ranaldo und Steve Shelley.
„Dirty“ ist eure neunte LP. Auch wenn im Plattentitel das Leitmotiv anklingt, behandelt ihr doch unterschied-
1lichste Themen, amerikanische Realität, Auswüchse und den runtergekommenen Zustand des Landes betreffend. Da ihr so lange zusammenarbeitet, hat sich sicher mittlerweile eingespielt, über welche Dinge ihr redet und wo ihr das lieber sein laßt.
Lee Ranaldo: Die Song-Texte sind jedenfalls Privatangelegenheit. Sie entstehen, nachdem wir die jeweilige Platte im Kasten haben, und sie
1machen nach der Aufnahme in der Regel immer Sinn. Über die Musik reden wir mehr, deshalb gehen wir ins Studio auch meistens mit sehr konkreten Vorstellungen.
Ihr arbeitet mit möglichst vielen verschiedenen Leuten zusammen. Chuck D. (Public Enemy) hat für die letzte Platte ein „Tell it like it is“ und ein „Yeah“ beigesteuert, Ian McKay von Fugazi spielte auf „Dirty“ ein paar Gitarren ein. Verkörpern Sonic Youth eigentlich am ehesten das Bild vom New Yorker Aktivisten, der sich interdisziplinär und personell ausbreitet?
Steve Shelley: Ian hat eine ganze Reihe von Gitarren aufgenommen, aber bei der Songauswahl konnten wir von den aufgenommenen 25 Stücken eben nur einen Teil berücksichtigen. So verhält es sich auch mit der Stadt New York: Alle entwickeln überall so selbstverständlich Ideen, daß es in der Stadt reicht, um die Ecke zu biegen um zu entdecken, zu entdecken, zu entdecken. Es gibt in New York eine lässige „Das Beste kommt noch“-Einstellung. Deshalb ist niemand besorgt, das „Beste“ nur teilweise zu Ende zu bringen oder zu veröffentlichen.
Sonic Youth arbeitet also, weil die anderen arbeiten?
Lee Ranaldo: Wir arbeiten, weil es so spannend ist. Keiner hat Probleme mit der Eigenmotivation, und niemand beweihräuchert den anderen wegen dessen Fleiß. Wir jammen untereinander viel, und wir könnten im Nachhinein sagen: „Das hat viel Kraft gekostet“; aber da es möglich scheint, sich über Jahre immer wieder zu engagieren, halten wir uns damit nicht auf. Lieber schaue ich einen Film von einem eurer Regisseure, von Fassbinder, diesem All-Time-Hero, an, oder ich bin eben schon an der nächsten Sache dran.
Dein liebster Fassbinder-Film?
Lee Ranaldo: In einem Jahr mit dreizehn Monden. Wie Elvira da auf dem Bett liegt, unbeweglich, und die ganze Zeit bleibt die vor Stunden aufgelegte Schlager-Platte in demselben Sprung stecken, dieser sich durch Wiederholung selbst als obszön kennzeichnende Abschnitt, das hat mir einiges klar gemacht.
18./19.11., Docks, mit Pavement und The Cell, 20 Uhr
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