: Soll Politik über Leichen gehen?
■ Betr.: "Keine Spuren eines Kampfes" etc., taz vom 21.10.92, "Trauer und Tragik", taz vom 22.10.92
Betr.: „Keine Spuren eines Kampfes“ etc., taz vom 21.10.92, „Trauer und Tragik“,
taz vom 22.10.92
Besonders Petra Kelly steht für den Anspruch der Grünen an sich selbst, menschliche Politik zu betreiben, so daß auch Verzweiflung, Angst, Hoffnung, Freude Platz haben in der Partei, in der Öffentlichkeit. Dies ergibt sich schon aus der Programmatik mit der Priorität eines menschenwürdigen Überlebens. Andererseits kenne ich die Grünen seit 1983, als nichts anderes als ein Zweckbündnis von Menschen mit ähnlicher politischer Einstellung, mit einem Selbstverständnis wie jede andere Partei.
Das Vorurteil, Parteipolitik sei ein schmutziges Geschäft, erhält neue Nahrung. Die Frage nach moralischer Mitverantwortung läßt sich nicht eindeutig beantworten, auch weil der Tod von Petra und Gert noch nicht völlig aufgeklärt ist. Doch in der Partei Die Grünen sind unmenschliche Intrigen, Entmutigung, Isolierung von politischen Minderheiten an der Tagesordnung; für diese Entwicklung, zu der nicht nur der scheinheilige Otto Schily beigetragen hat, steht ihr Tod symptomatisch. Die Antwort auf diese Katastrophe muß sein, daß wir klarstellen, daß wir keine Politik über Leichen machen wollen, und uns im politischen Alltag an die selbstgesetzten Prioritäten erinnern. Daß Menschen von politischen Positionen gedrängt werden, gehört zu den Spielregeln der Demokratie. Wie können wir zurückgesetzte Politiker dennoch ermutigen, sich weiter zu engagieren? Georg Doerry,
Fraktion Die Grünen in der
Gemeindevertretung Petersberg
[...] Petra Kellys Mörder, soviel steht nach zwölf Stunden Ermittlung fest, heißt Gert Bastian. Ob sie beide sich mit ihrem Tod belohnten, weil sie mit ihren Ideen den Freunden zu früh kamen, dies wird wohl ewig dem weiten Feld der Spekulationen überlassen bleiben. Streit um ein Zufrüh oder Zuspät bleibt ebenfalls müßig. Doch eines läßt sich aus den ersten Stellungnahmen schließen: Jeglicher Versuch am Leugnen einer Mitschuld ist dümmliches Selbstschutzgerede falscher Freunde. Im Umgang mit dem Vermächtnis der Grünen-Mitbegründerin und ihres Mitstreiters in der Friedensbewegung und im Bundestag wird sich die künftige Politikfähigkeit der Alternativbewegung erweisen.
Fatal wird sich jede These zum Tatmotiv auswirken. Darauf spekuliert zum Beispiel auch die politisierte Justiz, wenn sie heute schon Wochen dafür veranschlagt, allein das Motiv zu erkunden, aber gleichzeitig jede Fremdeinwirkung ausschließt. Ein Übertragen der eigenen Verunsicherung auf den politischen Gegner offenbart menschliche Hilflosigkeit, die darauf hofft, daß im fatalen Spekulieren um die Hintergründe sich das linke Spektrum weiter auseinanderdividieren wird. Der perfekte Selbstmord einer politischen Klasse steckt aber voller Formfehler. Auffindbar in allen Lagern, ist er Indiz für die Vereinsamung, sprich Isolation, die dem Fatalen vorausgeht. Dies beredt zu leugnen, ist töricht. Allein der Verlust an Kultur im menschlichen Miteinander wäre im Tod der beiden zu beklagen. [...] Ed Shah, Berlin
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