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Der Metropolenkomplex

Zum Abschluß der diesjährigen BID: Eine Diskussion zur „Musikstadt Berlin“  ■ Von Andreas Becker

Im Berliner Kabelsender FAB konnte man in der Woche vor der diesjährigen BID (»Berlin Independence Days«) die „Panels“ (Diskussionen) der BID '91 verfolgen. Und obwohl die BID erst auf fünf Amtsjahre kommt, halb soviel wie der Kanzler — die Qualität ihrer Diskussionen kann sich mit der den Neujahrsansprachen Kohls messen: würde man bei FAB die Bänder verwechseln - es würde kaum jemand bemerken.

In diesem Jahr sollte die Abschlußdiskussion der BID Aufschluß geben über die Situation der „Musikstadt Berlin“. Eingeladen hatte man wieder einmal die Honoratioren des hiesigen Musikgewerbes. Treffende Lagebeschreibung des Podiumsmitglieds Helmut Lehnert (Radio 4U): „Wir sind doch alle alte Säcke.“ Darüber konnte auch die gut gemeinte Idee des Bid-Mitorganisators Peter Radszuhns nicht hinwegtäuschen, man wolle sich im nächsten Jahr um „Dancemusic und Jazz“ kümmern. Müdes Lächeln von den Rängen: „Drei Jahre zu spät!“

Wie die BID selbst sind auch die Diskussionen ein Spiegelbild der eher desolaten Lage in der ewigen Möchtegern-Metropole Berlin. War es früher die Mauer, die die Berliner Musiker hinderte, wieder so richtig groß und bedeutend zu sein, wird heute gerade der Fall der Mauer beklagt, mit dem der Zerfall des „Mythos Berlin“ einherging. Berlin hat längst Konkurrenz bekommen von ganz normalen westdeutschen Popelkäffern wie Krefeld (das immerhin eine erfolgreiche Band wie „M. Walking On The Water“ sein eigen nennen darf).

Trotzdem blieb es für Manfred Fischer vom Kultursenat dabei: „Berlin ist die Hauptstadt der Independent-Musik“. Ein klarer Fall von Betriebsblindheit. Warum außer ihm gleich noch eine Angestellte des Hauses Roloff-Mommin, die Rockbeauftragte Barbara Esser, aufs Podium geladen war, blieb offen. Den als Moderator völlig überforderten Frank Schneider vom Berliner Band Syndikat hätte man lieber als Vertreter selbigen Projektes einladen sollen. Immerhin: das Syndikat, ein Zusammenschluß von Musikern, ist eine der — zur Zeit raren — Unternehmungen der Berliner Musikszene, die zumindest zur Hoffnung auf bessere Zeiten Anlaß geben. Wenn auch erst zum Ende der BID, schaffte das Syndikat die Herausgabe eines CD-Samplers mit Titeln von zwanzig Berliner Combos: für Promozwecke.

Ansonsten herrscht aber weitgehende Sonnenfinsternis in der „Musikstadt Berlin“. Den Beweis, daß man sich hier lieber gegenseitig die Köpfe einschlägt statt z.B. von den Zahnärzten die Erfolgsweisheit „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ zu lernen, lieferte BID-Mann Radszuhn selbst. Er war es, der den Reigen der Medienschelter furios mit einer Breitseite gegen die Berliner Zeitung eröffnete. Sie hatte Schlechtes, laut Radszuhn auch Unwahres über die BID verbreitet.

Sofort ging das Meckern über böse Medienleute, lügende Journalisten und Menschen los, die nichts von Berliner Bands hören oder spielen wollen, frei nach dem Motto: Wenn das Publikum nicht kommt, ist eben die Presse schuld. Ein Musiker in dem hörsaalartigen Raum des ehemaligen Kulturzentrums der UdSSR griff die Vertreter von Radio 4U — Lehnert und Christine Heise — an. Vorwurf: sie kümmerten sich nicht um Berliner Bands. Eine Kritik, die schon fast wie Leichenfledderei anmutet, wird doch Radio 4U, wenn nicht noch ein rettendes Wunder geschieht, zum 1. Januar in der ORB- Flachwelle „Fritz“ aufgehen.

Lehnerts Kommentar: Die Berliner Musiklandschaft komme ihm zur Zeit vor wie der „Zusammenschluß aller Verlierer“. Mit der unsinnigen Verschmelzung von Radio 4U und Rock-Radio-B zu labberigen Pommes „Fritz“ wird jedenfalls die Möglichkeit, unbekannte Berliner Bands im Radio zu spielen, vollends aussterben. Gegen diese Form der Medienpolitik hätte die Veranstaltung der BID eine Demonstration sein können. Berlin krankt weiter an einer seltsamen Manie: jeder meint, wenn sein Kram das Etikett „Berlin“ auf dem Plattencover ziert, sei die Platte schon fast verkauft. Dem ist glücklicherweise nicht (mehr) so. Einige Zuhörer sehnten sich allerdings sehr nach einem neuen Kultstatus Berlins à la Seattle oder Minneapolis. Auf die Frage, warum Berlin nicht wenigstens London ist, konterte der Zensor Burkhard Seiler, wohl realistischer, als das Musikvölkchen ansonsten denkt, vom Podium: „Das will doch keiner.“

Barbara Esser vom Senat verkündete noch, daß am 22./23. Januar „Metro-Beat“, die Nachfolgeveranstaltung des „Senatsrocks“ startet. Dazu wird es dann auch wieder eine Diskussion zur „Musikstadt Berlin“ geben. Passen sie auf, daß keiner die Fernsehbänder vertauscht, Frau Esser!

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