: Panik unter den Computerkids
■ Geklaute Software: 15 Privatwohnungen durchsucht/ Konten im Ausland/ Computerfreaks „säubern“ Zimmer/ Professionelle Mailbox-Anbieter aber cool
Berlin. Der 18jährige Rudolf Berger (Name v. d. Red. geändert) hat seinen Computer und alles, was dazugehört, zu Freunden gebracht. Dort wähnt er die Elektronik sicher. Berger befürchtet, daß die Polizei auf seiner Spur ist – er hatte zu Hause gestohlene Software. Beamte hatten nach Auskunft der Justizpressestelle in der vergangenen Woche fünfzehn Berliner Wohnungen durchsucht und massenweise Geräte und Disketten beschlagnahmt. Der Verdacht, mit geklauten Programmen gedealt zu haben, habe sich bestätigt, noch bevor die Elektronik unter die Lupe genommen worden sei, berichtet Justizsprecher Bruno Rautenberg. Denn ein Teil der Beschuldigten habe sofort gestanden.
Beschuldigte legten sofort ein Geständnis ab
Nahezu jeder, der einen Computer hat, hat sich von Freunden Disketten kopiert – unerlaubterweise. Denn in der Regel hat der Urheber der Programme, die Softwarefirmen, der Weiterverbreitung der Diskettendaten nicht zugestimmt. Dennoch taucht die Polizei bei der in der Bundesrepublik bisher größten Razzia gegen Datendealer nicht vor jeder Haustür auf, hinter der ein PC piepst.
Berger hat trotzdem Angst, wenn es klingelt. Denn sein Terminal war an das Telefon angeschlossen und damit mit der Außenwelt verbunden. Seit Jahren stöberte der Jugendliche in fremden – ebenfalls ans Telefonnetz angeschlossenen – Computern herum, kopierte sich von dort, was er wollte, und hinterließ neben seinem Namen, was für andere Computerfreaks interessant war. Weil die telefonisch verbundenen Computer wie ein Postfach funktionieren, heißen sie auch Mailbox.
Würde die Polizei jede Mailbox überprüfen wollen, wären alle Ordnungshüter Berlins für mehrere Jahre mit nichts anderem beschäftigt. Die Razzia richte sich nur gegen Mailbox-Betreiber, die mit der fremden Software Geld verdient haben sollen, erläutert Rautenberg – also nur gegen die Spitze des Eisbergs. Berlin soll sich nach Angaben des Münchener Rechtsanwalts Bernhard Syndikus zu einem wahren Eldorado von Chip- Kriminellen entwickelt haben. Syndikus' Kanzlei vertritt mehrere Software-Unternehmen.
Bis zu fünf Jahre Knast für Software-Dealer
Bei dem illegalen Handel mit Bits und Bytes gehe es zu einem Drittel um Spiele, berichtet der Münchner Jurist. „Absoluter Renner“ sei derzeit der von Softwareherstellern und „Lufthansa“ entwickelte Flugsimulator „Airbus 320“ (Ladenpreis etwa 120 Mark). Über Mailboxen zu beziehen sei auch das neueste Betriebssystem von IBM, „DOS 6.0“, das der Computer- Multi bisher noch gar nicht auf den Markt gebracht haben soll. Dealer könnten bis zu 25.000 Mark im Monat verdienen, behauptet Syndikus. Wer das Urheberrecht verletze, müsse mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren rechnen. Ein Urteil in der Strafhöhe sei ihm allerdings nicht bekannt.
Neun Jahre seien die jüngsten Täter. Wenige tausend Mark, um sich einen Computer, eine Festplatte zum Speichern ungeheurer Datenmengen und ein Modem fürs Telefon ins Zimmer zu stellen – dann brauche man nur noch ein wenig kriminelle Energie. Damit Benutzer – User – in den elektronischen Postfächern die „heiße Ware“ herausholen können, müssen sie sich einen Postfachschlüssel – das Codewort – kaufen. Wer per Computer eine Mailbox anruft, bekommt die Bankverbindung genannt. Profis hätten Kontos „im Ausland“, berichtet Syndikus. Für beispielsweise 50 Mark Monatsgebühr dürften User täglich eine Stunde die Post in solch einer Mailbox durchwühlen und kopieren. Die elektronischen Briefkästen sind ursprünglich zur Nachrichtenvermittlung eingerichtet worden. In Berlin gibt es beispielsweise den „BerlinNet e. V.“. Zwanzig Mitglieder betreiben sieben Mailboxen, in denen Nachrichten, selbstgeschriebene Software oder legal kommerzielle Programme angeboten werden. In die Postfächer kommen neueste Meldungen aus weltweit verbunden Computernetzen. In diesen Wochen bedienten sich dieser modernen Form der Kommunikation besonders häufig Antifa-Gruppen, brichtet Heinz Nopper, Mitglied im BerlinNet- Verein. Sein Verein lasse illegaler Software die Finger, da sich professionelle Briefkastenverwalter eine Abschaltung nicht leisten könnten.
Durch die Razzia der Polizei hat manche Mailbox ihren elektronischen Geist aufgeben müssen. Ein „Mr. Swapper“, Anbieter eines Computer-Briefkastens mit dem Namen „Blaze 1“, hat am vergangenen Freitag im „BerlinNet“ die Nachricht hinterlassen, daß acht Mailboxen mit sonderlichen Namen wie „Pinte“ oder „World Trade Center“ ihren Betrieb eingestellt haben sollen. Die elektronischen Briefkästen eignen sich neben der Verbreitung von Nachrichten auch bestens zum kolportieren. So hieß es am vergangenen Freitag ebenfalls, daß Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) Strom abgeschaltet, Türen eingetreten und zwanzig Mailbox-Betreiber verhaftet hätten. Dirk Wildt
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