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BGH: Mauerschützen sind schuldig

■ Schützen hätten wissen müssen: DDR-Grenzgesetz verletzte elementare Rechtsprinzipien

Berlin (taz) – Die Schüsse an der Mauer sind rechtswidrig. Zu dieser Entscheidung kam gestern der Bundesgerichtshof in seinem wegweisenden Revisionsurteil im sogenannten zweiten Mauerschützenprozeß. Grundsätzlich, so das Urteil, seien die Schüsse auf Flüchtende durch das DDR- Grenzgesetz zwar „gedeckt“ gewesen; doch auf diesen Rechtfertigungsgrund könnten sich die Schützen nicht berufen, weil das Grenzgesetz „zur Gerechtigkeit in einem so unerträglichen Widerspruch steht, daß es weichen muß“. Es habe „höherrangige, elementare Rechtsprinzipien“ verletzt, die auch in der DDR zu beachten gewesen seien. Das Gericht kam ferner zu der Ansicht, daß das DDR-Grenzgesetz „bei menschenrechtskonformer Auslegung nach den eigenen verfassungsrechtlichen Maßstäben der DDR“ nicht rechtfertigte, auf unbewaffnete Flüchtlinge mit Tötungsvorsatz zu schießen. Die Angeklagten hätten somit nach „richtig verstandenem Recht der DDR einen rechtswidrigen Totschlag begangen“.

Auch das Rückwirkungsverbot nach Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes steht, so das Urteil des Bundesgerichtshofs, einer Bestrafung nicht entgegen. Eine „menschenrechtswidrige Auslegung und Anwendung geschriebenen Rechts“ sei durch das Rückwirkungsverbot nicht geschützt.

Die beiden Grenzsoldaten Uwe Hapke und Udo Walther hatten am 1. Dezember 1984 den zwanzigjährigen Michael-Horst Schmidt erschossen, als dieser mit einer Strickleiter versuchte, die Berliner Mauer zu überwinden. Eine Rettung Schmidts wäre möglich gewesen, wenn rechtzeitig Hilfe geholt worden wäre.

Die gestrige Entscheidung des BGH ist grundsätzlicher Natur und reicht weit über die Bestrafung der beiden NVA-Soldaten Uwe Hapke und Udo Walther hinaus. Die Entscheidung des Gerichts für die Strafbarkeit der Schüsse ist wegweisend für etwa 1.200 Ermittlungsverfahren gegen Grenzsoldaten. Alle weiteren Prozesse in diesem Zusammenhang werden sich nun an der BGH-Entscheidung zu orientieren haben. Freisprüche mit der Begründung, die Angeklagten hätten sich lediglich an dem in der DDR geltenden Recht orientiert, sind damit endgültig hinfällig.

Wegen der Todesschüsse an der Mauer sind auch Erich Honecker und Erich Mielke angeklagt. Ihrem Prozeß, der am 12. November beginnen soll, steht jetzt juristisch nichts mehr im Wege. Über eine eventuelle Haftverschonung Honeckers hat das Berliner Landgericht gestern immer noch keine Entscheidung getroffen, wie dpa ergänzend meldet. Bei den Beratungen spielt offenbar auch der neue ärztliche Befund des Psychiaters Werner Platz eine Rolle. Danach ist Honecker wegen seines Krebsleidens seelisch nur noch in der Lage, dem Prozeß eine Stunde pro Tag zu folgen.

Wie zuvor Honecker wird unterdessen auch der ehemalige Stasi-Chef Erich Mielke erneut intensiv ärztlich begutachtet. Im Fall Mielke habe das Gericht die Ärzte beauftragt festzustellen, ob er in der Lage ist, zwei Prozesse gleichzeitig durchzustehen. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Mordes an zwei Polizisten im Jahre 1931. Julia Albrecht

Kommentar Seite 10

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