■ Portrait
: Tipper Gore

Foto: Reuter

Wo andere Leute ihre Leiche im Keller haben, hat Tipper Gore, Frau des künftigen demokratischen Vizepräsidenten, ein Schlagzeug. Im Keller des Hauses von Familie Gore in Tennessee stehen die Trommeln, auf die sie zu High-School-Zeiten in der Mädchenband „The Wildcats“ schlug. Ihre „ganz normale Sixties-Jugend“ ist der US-amerikanischen Öffentlichkeit in den letzten Wochen um die Ohren gehauen worden: Wie ihr Mann Al gab sie zu, Marihuana geraucht zu haben, und bekannte sich zur Teilnahme an Anti-Vietnam- Demonstrationen. Und gegen Rockmusik hat sie rein gar nichts: Eine Live-CD von Greatful Dead war die letzte Ergänzung einer typischen 60er-Jahre-Plattensammlung, Beatles, Rolling Stones, Fleetwood Mac.

Denn Tipper Gore hat doch eine Leiche im Keller: 1985 hatte sie auf einer Prince-LP ihrer Tochter das Stück „Darling Nikki“ entdeckt – und in diesem eine Anspielung auf Masturbation. Frau Gore vertiefte sich in die Materie und fand Schund.

Zeitgenössische Popmusik, so ihr Befund, verherrlicht Sex, Gewalt und Okkultismus. Mit anderen Politikerfrauen gründete sie das „Parents' Music Resource Centre (PMRC). Die „Washington Wifes“, wie sie bald genannt wurden, starteten einen amerikanischen Kulturkampf.

Sie verschickten Informationsblätter an Schulen und besorgte Eltern, in denen sie auf untrügliche Anzeichen für ihrer Meinung nach skandalöses Musikgut hinwiesen: weiße Turnschuhe an Musikerfüßen oder Davidssterne auf dem Cover. Tipper Gore schrieb ein Buch über das heiße Thema, fabulierte in Talk-Shows so lange von Rocksongs, in denen „mit vorgehaltener Waffe erzwungener Oralsex“ gepriesen wurde, bis es Altrocker Frank Zappa zu dumm wurde und er eine Anhörung vor dem Kongreß erzwang. Dort nannte er sie eine „Kulturterroristin“ und bezichtigte sie der Zensur.

Doch die Recording Industry Association of America (RIAA) hatte ein Einsehen und klebt seither auf gewisse Hardrock- und HipHop-Platten einen Explicit lyrics- Sticker. Resultat: Ihr Mann Al mußte 1988 als demokratischer Präsidentschaftskandidat aufgeben, weil er die Sympathie wichtiger MTVoter verloren hatte. Auch wenn es PMRC auf dem Papier noch gibt, engagiert Frau Gore sich heute lieber für Obdachlose ... Tilman Baumgärtel