: Öffentlichkeit war seine Waffe
■ Robert-Havemann-Gesellschaft baut Archiv über den DDR-Oppositionellen und die Bürgerbewegung auf/ Unter Hitler in der Todeszelle, noch in den 50ern Stalinist
Prenzlauer Berg. Keine Geheimnisse zu haben, immer alles auszuplaudern, das kann die subversivste Waffe einer Oppositionsbewegung sein. Der Philosoph und Physikochemiker Robert Havemann (1910–1983) hat die Herrschaften von der SED mit diesem einfachen Prinzip zur Weißglut gebracht, und seine Freunde wollen mit Veranstaltungen und dem Aufbau eines Archivs verhindern, daß es in Vergessenheit gerät.
In der Schliemannstraße 23, in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen berühmten Projekten der Bürgerbewegung wie dem Basisdruck-Verlag und der Umweltbibliothek, hat sich die 1990 gegründete „Robert-Havemann-Gesellschaft e.V.“ nun einquartiert. Die Wände sind frisch gestrichen, die ersten Regale aufgebaut, aber noch leer. Tina Krone, einstmals zusammen mit Havemanns Ehefrau Katja Aktivistin der „Frauen für den Frieden“, nunmehr Journalistin, Autorin und Archivleiterin, hat die Niederschrift eines verzweifelten Aufschreis vor sich liegen. „Ich habe mich längst zu der Auffassung durchgerungen, daß es im Dunstkreis von Professor Havemann keine Verschwiegenheit gibt“, so das ehemalige NSDAP- und spätere SED-Mitglied Werner Hartke im März 1966, als unter seiner Ägide als Präsident der Akademie der Wissenschaften die günstigste Variante der Entlassung Havemanns beraten wurde. „Er proklamiert selbst, daß nach seiner Ansicht alle Dinge öffentlich seien. Das macht Schule.“ Immer wieder kann sich Tina Krone darüber freuen, „wie sehr den Herren der Schaum vor dem Mund gestanden haben muß. Mit dem konnte man einfach nicht taktieren.“
Sie selbst kannte ihn allerdings nicht mehr. Aber auch sie ist der Meinung, daß „sein Leben zu wenig bekannt ist, weil er in der DDR zu den Unpersonen gehörte“. Wer weiß denn noch, daß der Widerstandskämpfer gegen die Nazis ab 1944 im Zuchthaus Brandenburg- Görden in der Todeszelle saß? Seine Hinrichtung wurde nur deshalb bis 1945 immer wieder hinausgeschoben, weil der Wissenschaftler für „kriegswichtige Arbeiten“ gebraucht wurde. Und wer erinnert sich noch daran, daß er in den 50er Jahren ein gutbezahlter SED- Funktionär an der Humboldt-Universität war, der sich selbst an Entlassungen beteiligte? Erst nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956 brach er auf der Suche nach einem echten demokratischen Sozialismus mit dem stalinistischen System und wurde zur Vaterfigur der DDR-Opposition. Früher lückenlos bewacht durch die Gestapo, dann rund um die Uhr durch die Stasi, die sogar die NS-Akten für ihre Zwecke auswertete, wurde Havemann zum Thema endloser Aktenreihen. Obwohl seine Witwe regelmäßig in der Gauck-Behörde lesen geht, hat auch sie es noch nicht geschafft, die rund 300 von der Stasi produzierten Bände durchzuarbeiten. Hinzu kommen weitere Aktenordner in der Akademie der Wissenschaften, in der Humboldt-Uni und im SED-Archiv. „Von wegen ein bißchen Nachlaß zusammensammeln“, stöhnt Tina Krone. „Das hat sich zu einem Riesenunternehmen ausgewachsen. Wir möchten von allen Unterlagen wenigstens eine Kopie haben.“ Aus Datenschutzgründen sind jedoch viele Bände noch gesperrt, obwohl Katja Havemann ganz im Sinne ihres Mannes alles öffentlich gemacht haben will. „Hier wird Datenschutz zum Täterschutz“, ärgert sich die Archivarin. „Das bedarf einer grundsätzlichen Diskussion.“
Tina Krone kennt sich gut aus mit Stasi-Akten. Erstens ist sie selbst Stasi-Opfer, zweitens hat sie beim Basisdruck-Verlag einen Ratgeber über den Umgang mit den Akten geschrieben, drittens ist sie an entsprechender Beratungsarbeit im Rahmen der „Robert- Havemann-Gesellschaft“ beteiligt. Denn pures Papiersammeln, da ist sie sich sicher, wäre nicht im Sinne des Toten. Drei Säulen, zählt sie auf, sollen deshalb die Aktivitäten der Gesellschaft tragen und „für Öffentlichkeit sorgen“. Erstens das Archiv. Zweitens die Geschichtswerkstatt, die sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt hat, nicht nur die Aktivitäten der Bürgerbewegung zu dokumentieren, sondern auch eine Theorie daraus zu entwickeln. Und drittens die politische Bildungsarbeit, in deren Rahmen Seminare und Podiumsdiskussionen zu aktuellen Problemen angeboten werden. Die nächste zum Thema „Blauhelm-Einsätze und der Pazifismus in der Bürgerbewegung“ macht jedoch schaudern: Als Referenten sind dort noch Petra Kelly und Gert Bastian angegeben. „Die hatten fest zugesagt“, erinnert sich Tina Krone. Ute Scheub
Robert-Havemann-Archiv, Schliemannstraße 23, Tel. 4485374
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