: Mit 1932 ist 1992 nicht zu vergleichen
■ Wie prägen Bilder das Geschichtsbild? fragte man in der Akademie der Künste
1992 redet Kanzler Kohl plötzlich vom Staatsnotstand. Sechzig Jahre zuvor war der damalige Reichskanzler Franz von Papen einen Schritt weitergegangen und hatte einen vermeintlichen Staatsnotstand zum Staatsstreich genutzt.
Papen hatte die von SPD und Zentrum getragene Regierung in Preußen, das letzte demokratische Bollwerk der Weimarer Republik, gestürzt und einen Reichskommissar an ihre Stelle gesetzt. Die SPD hatte stillgehalten, sie hatte nichts gegen diesen Verfassungsbruch unternommen – in der Hoffnung, durch ihr Stillhalten das Schlimmste zu verhindern, einen Reichskanzler Adolf Hitler. Hätte die SPD statt stillzuhalten kämpfen sollen? Welche Lehren sind aus dem katastrophalen Scheitern der nachgiebigen SPD-Politik in der turbulenten Spätphase der Weimarer Republik für heute zu ziehen?
Eigentlich ging es bei der Tagung, die am Freitag und Samstag in der Akademie der Künste durchgeführt wurde, gar nicht um aktuelle politische Fragen. Berlin 1932 war das Thema, ein Porträt jenes letzten Jahres der Weimarer Republik sollte gezeichnet werden.
Ein fotografiegeschichtliches Forschungsprojekt an der Hochschule der Künste (HDK) hatte untersucht, inwieweit Bilder von damals das Geschichtsbild geprägt haben. Nur ein einziges Bild zeigt beim BVG-Streik 1932 Nazis und Kommunisten gemeinsam als Streikposten: aber dadurch, daß es so oft gedruckt worden ist, hat es im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte gemacht. Es hat das Geschichtsbild geprägt: die Legende, Nazis und Kommunisten hätten Seit an Seit den BVG-Streik gemanagt.
Durch die jüngste politische Entwicklung in Deutschland indes drängte sich unvermeidlich die Frage auf, welche Parallelen zwischen 1932 und 1992 zu ziehen seien. Nein, den Vergleich 1932/1992 dürfe man auf keinen Fall anstellen, forderte Prof.Wolfgang Wippermann, Faschismusforscher an der Freien Universität. Der Vergleich sei gefährlich, weil er verharmlose: Da Kohl offenkundig nicht von Papen und das Gerede vom Staatsnotstand noch kein Staatsstreich sei, verleite der Vergleich zu dem Schluß, ganz so schlimm sei es heute nicht. Dabei ist der offene Ausbruch rassistisch motivierter Gewalt heute weit schlimmer als in der Weimarer Republik, in der es nur einmal, bei Unruhen im Scheunenviertel 1923, vergleichbare Exzesse gegeben habe wie 1992.
Daß aus den Erfahrungen der Weimarer Republik nur schwer Schlüsse für heute zu ziehen sind, machte auch Prof.Heinrich August Winkler, Historiker an der Humboldt-Universität, deutlich. Für die nachgiebige SPD-Politik in der späten Weimarer Republik war, so Winkler, nicht eine falsche Strategie der Parteiführer verantwortlich, sondern die geradezu verzweifelte Lage der Partei: Sie habe kaum eine andere Wahl gehabt, als die zunehmend antidemokratische Reichsregierung zu tolerieren, da sie sonst schon 1930 die Macht in Preußen eingebüßt hätte und damit den Zugriff auf die preußische Polizei, durch den sie hoffte, wirksam die Nazis bekämpfen zu können. Eine konsequente Oppositionspolitik der SPD hätte nach Einschätzung Winklers die NSDAP schon früher an die Macht gebracht.
Historische Kontinuitäten hob der Organisator der Tagung, HDK-Professor Diethard Kerbs, hervor: die schwache Reaktion des Staates auf Gewalt von rechts im Vergleich zur Gewalt von links damals wie heute. In beiden Fällen honoriert(e) die Staatsmacht, daß die Rechten im Unterschied zu den Linken nicht die Besitzverhältnisse verändern wollen. fs
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