: Handelskrieg: Alles bloß Theater?
Mancher Gatt-Unterhändler hält die Eskalation im Agrarstreit zwischen USA und EG für inszeniert/ Im Verhandlungsausschuß wurde um das Rederecht die Münze geworfen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Den Unterhändler, der neue Vorschläge mitbringt, kann Arthur Dunkel nicht spielen, wenn er in den nächsten Wochen zwischen Genf, Brüssel und Washington hin- und herjettet. Soweit geht sein Mandat nämlich nicht, das er gestern vom obersten Verhandlungsgremium (TNC) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) erhielt. Weil die Rolle des Postboten dem nicht uneitlen Gatt-Generaldirektor Dunkel jedoch zu gering erschient, definierte er sie sich schöner: Er werde zwischen den USA und der EG, die heillos über Agrarsubventionen zerstritten sind, „vermitteln“, sagte Dunkel gestern im Anschluß an eine eilig einberufene TNC-Sondersitzung.
Was das konkret heißt, wußte gestern keiner von denen, die Dunkel den entsprechenden Auftrag erteilten, genau zu sagen. Während der TNC-Sitzung hatten die Botschafter von immerhin 53 der 108 Gatt-Vertragsstaaten das Wort ergriffen, und die Verantwortlichen in Washington und Brüssel „eindringlich“ ermahnt, ihren Disput beizulegen — im Interesse eines baldigen Abschlusses der „Uruguay-Runde“ des Gatt. Vor allem die Vertreter aus Lateinamerika, Asien und Afrika sowie aus den osteuropäischen Reformstaaten drängten die beiden großen Wirtschaftsblöcke, ihren Streit um die Ölsaaten (Raps, Soja) zu entschärfen und sich im Agrarbereich endlich zu einigen.
Brasiliens Botschafter machte die Blockade der Verhandlungen über weltweit gültige Handelsregeln verantwortlich für die Blockade der Wirtschaftsreformen in Rio. Bei der Uruguay-Runde gehe es um „ein multilaterales Abkommen über verschiedene Handelsbereiche und nicht nur um eine Vereinbarung im Interesse von ein paar Bauern diesseits und jenseits des Atlantiks“.
Wie schwer die Verstimmung zwischen Washington und Brüssel derzeit ist, zeigt eine Episode am Rande: Da sich die Genfer Delegationen von EG und USA nicht einigen konnten, wer zuerst redet, mußte Dunkel eine Münze werfen. EG-Vertreter Tran van Trinh gewann und sagte, oberste Priorität habe jetzt „die Eskalationsvermeidung“. Die Verhandlungspositionen aller Seiten müßten „über nationale Interessen hinausreichen, insbesondere, wo es nur um Vorteile für einzelne Wirtschaftsgruppen geht“. Dieser Satz wurde als klare Botschaft an die Regierung in Paris gedeutet, ihren Widerstand gegen eine Verständigung mit der US-Regierung über Agrarfragen endlich aufzugeben.
Informationen, wonach Dunkel in Washington das Begehren Brüssels vortragen werde, die USA sollten sich bei einem Nachgeben der EG im Agrarbereich ihrerseit flexibler bei der Liberalsieriung des Handels mit Dienstleistungen zeigen, dementierte der Gatt-Generaldirektor. Auch Hinweise, daß einige Regierungen inzwischen „Opt-out“-Klauseln für Einzel- Bereiche eines Gatt-Abkommens beantragen wollen (wie zum Beispiel Dänemark beim Maastricht- Vertrag), wollte Dunkel bislang „nicht erhalten“ haben.
Der Gatt-Generaldirektor sieht Möglichkeiten, den heißgelaufenen Streit um Ölsaaten rechtzeitig bis zum 5. Dezember zu entschärfen und damit die Vollstreckung der angekündigten US-Sanktionen zu vermeiden. Hinsichtlich eines Gatt-Abkommens zeigte sich Dunkel zuversichtlich. In den bisherigen sechs Jahren der Uruguay- Runde sei die Position der US-Regierung immer von einem Konsens zwischen Republikanern und Demokraten getragen worden.
Auch ein EG-Unterhändler bemerkte gegenüber der taz, falls es noch bis zum 20. Januar zu einer Einigung mit Washington komme, sei diese „höchstwahrscheinlich zwischen der Bush-Administration und dem Clinton-Team abgesprochen und damit tragfähig“. So mancher Beobachter der Genfer „Krisen“-Sitzung des Gatt fragte sich, ob die Eskalation der letzten acht Tage vielleicht nur ein wohlinszeniertes Theater war: um die Franzosen innerhalb der EG auf eine flexiblere Linie zu zwingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen