: „Die größte Sorge sind die Waisen“
In Uganda sind schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen HIV-positiv/ Trotz des Wissens um die Gefahren des Virus ändern nur wenige ihr Verhalten/ Kirche befürwortet Kondome als Schutz ■ Aus Kampala Markus Dufner
Aus dem Radio schallt die Erkennungsmelodie eines Aids- Spots. Suna schaltet sofort aus. „Hast du Probleme damit?“ fragt sein Arbeitskollege Magazi verwundert. „Ich habe genug davon“, erregt sich Suna. „Aids, Aids, Aids – in den Zeitungen, auf Postern, an Anschlagbrettern – und nun auch noch in meiner Lieblingssendung im Radio.“
Suna ist Anfang 30, verheiratet und leitender Angestellter einer Firma. Seine Frau Serra ist hochschwanger. Sie verbringen mit einem befreundeten Paar einen gemütlichen Abend beim Kartenspiel. „Ein Vater zu sein ist kein Witz, Suna“, mahnt Magazi. „Du mußt noch 'ne Menge lernen.“ Der Hintergrund dieser Bemerkung: Suna genießt den Ruf eines Schürzenjägers.
So beginnt „It's Not Easy“, ein Film des ugandischen Fernsehens, der die Geschichte eines Mannes erzählt, der die Aids-Gefahr verdrängt. Ihm werde schon nichts passieren, tönt Suna, schließlich sei seine Geliebte Maria ja „praktisch eine Jungfrau“. Außerdem ist er überzeugt davon, daß es Aids „bestimmt schon seit Jahrhunderten gibt“, und im übrigen töte Malaria viel mehr Menschen als Aids.
Uganda im Jahre 1992: Wenn da nicht diese schreckliche Krankheit grassierte, die wie einst die Pest die Menschen dahinrafft, könnten die Bewohner und Bewohnerinnen des ostafrikanischen Landes zumindest mit ein bißchen mehr Optimismus in die Zukunft blicken. Nach Jahrzehnten des Terrors, der Mißwirtschaft und des Bürgerkrieges unter den Präsidenten Obote (1962 bis 1971 und 1980 bis 1985) und Amin (1971 bis 1979) gewinnt die einstige „Perle Afrikas“ wieder ein wenig von ihrem alten Glanz zurück.
Kein Geld für das Gesundheitswesen
Präsident Museveni, nun schon über sieben Jahre im Amt, genießt nach wie vor das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung. Mit Hilfe eines breit angelegten politischen Bündnisses ist es ihm gelungen, wieder Ordnung im Lande herzustellen.
Allerdings kommt es im Nordosten, wo nach wie vor Rebellengruppen operieren, immer wieder zu Übergriffen der Armee auf die Bevölkerung. Und an der ugandisch-ruandischen Grenze schwelt ein Konflikt, den Museveni durch die militärische Unterstützung der Exilruander heraufbeschwor.
Die Militärausgaben lasten nach wie vor schwer auf der Staatskasse. Gemessen am Bruttosozialprodukt ist die Staatsverschuldung immens. Für das Gesundheitswesen bleibt da nicht mehr viel Geld übrig.
Gerade in den am schlimmsten von Aids betroffenen Regionen wie dem Rakai-Distrikt im Süden Ugandas fehlen Krankenhäuser, mangelt es an ausreichender medizinischer Versorgung. Hier sind amtlichen Schätzungen zufolge 20 Prozent der Erwachsenen HIV- positiv. Zur starken Verbreitung des Aids-Virus gerade entlang des Victoria-Sees dürften nicht zuletzt 40.000 tansanische Soldaten beigetragen haben, die 1979 von Süden her nach Uganda eindrangen, die Hauptstadt Kampala einnahmen und den Diktator Amin vertrieben.
Das Gesundheitsministerium rechnet mit 1,5 Millionen infizierten Männern und Frauen landesweit. Das sind über acht Prozent der Bevölkerung, bei einer Einwohnerzahl von 18 Millionen. Der Kampf gegen Aids wird von einer Agentur im Auftrag des Gesundheitsministeriums koordiniert, dem Aids Control Program (ACP). Warren Naamara, der ACP-Direktor, umreißt die Funktion der Agentur: „Alle staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Einrichtungen, die mit Aids zu tun haben, kommen unter unserer Führung zusammen, und gemeinsam erstellen wir den Arbeitsplan für ein Jahr.“ Zum Beispiel bringen die Vertreter der Krankenhäuser die Aspekte Pflege und Beratung der Patienten in den Plan mit ein. Das ACP gliedert sich in fünf Abteilungen: epidemiologische Überwachung und Kontrolle von Krankheiten, die sexuell übertragen werden; Unterstützung von Laboren und Organisation der Bluttransfusion; Information, Bildung und Kommunikation; Pflege der Patienten und Gesundheitsfürsorge in den Gemeinden (Commnunity Based Health Care) sowie Management.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern Kenia und Tansania, die das Aids-Problem lange Zeit leugneten oder bagatellisierten, sprach Uganda bereits 1986 offen über „Slim Disease“ – noch bevor die Weltgesundheitsorganisation ihr „Globales Aids-Programm“ veröffentlichte. Die „No to AIDS“- Kampagne der ugandischen Regierung bedient sich gut verständlicher Cartoons, die vor allem auf mögliche Infektionsrisiken hinweisen: mit der Bemerkung „Ich fahre direkt zu meiner Frau nach Hause“ läßt ein LKW-Fahrer zwei Prostituierte auf der Straße stehen.
Warren Naamara will mit der Aids-Aufklärung möglichst „jede Facette der Öffentlichkeit“ erreichen. In den Distrikten ist ein Netz der Gesundheitserziehung aufgebaut worden. Stehen besondere Kampagnen an, so werden die „Resistance Committees“, die lokalen Einheiten der Staatspartei Nationale Widerstandsbewegung, herangezogen. Für die Schulen entwickelte ACP ein „School Health Educational Program“.
Auch die Kirchen unterstützen die Regierung in ihrem Kampf, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die katholischen Bischöfe verhalten sich pragmatisch. Zwar sprechen sie sich gegen das Kondom als Mittel der Geburtenkontrolle aus, befürworten aber seinen Gebrauch zum Schutz vor Aids.
Mit Theaterstücken zur Verhaltensänderung
Eine wichtige Rolle bei der Aids- Aufklärung spielen Theaterstücke. In diesem Jahr schrieb das Erziehungsministerium einen Wettbewerb für weiterführende Schulen aus. Unicef unterstützte dieses Projekt mit 170.000 US-Dollar. Die Gewinner der Regionalausscheidungen trafen sich am Ende des Schuljahres zum Theaterfinale in Kampalas Makerere University. Das Aids-Drama „The Hydra“, benannt nach der vielköpfigen Seeschlange in der griechischen Mythologie, ist ein moralisches Lehrstück und gipfelt im dritten Akt in der Gründung eines „Clubs zur Verhaltensänderung“. Die Schülerinnen und Schüler sollen dabei die spezifischen Gegebenheiten an ihrer Schule und in ihrem Freundeskreis einfließen lassen.
Mary Owor vom „School Health Education Project“ verspricht sich von „The Hydra“ eine „positive Verhaltensänderung“ unter den Jugendlichen und schließlich in der gesamten Bevölkerung.
ACP-Direktor Naamara sieht denn auch als vorrangiges Problem nicht die Aufklärung, sondern die Verhaltensänderung. „Dank unserer Kampagnen wissen nahezu 100 Prozent der Ugander, wie Aids übertragen, verbreitet und die Ansteckung mit dem Virus vermieden wird.“ Dieses hohe Niveau gelte es nun zu halten. Das eigentliche Problem sei, daß trotz ihres Wissens viele Menschen ihr Verhalten nicht geändert hätten – laut Untersuchungen sind es nur 50 Prozent.
Die Verwendung von Kondomen beginnt sich erst allmählich durchzusetzen, obwohl es Beratungsstellen gibt, in denen das Gummi kostenlos erhältlich ist. Ein entscheidender Faktor, der die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit begünstigt, ist die Promiskuität, die in Uganda zumindest in der Vergangenheit nicht in dem Maße stigmatisiert war wie in westlichen Gesellschaften. Die Männer vom Land, die sich in den Städten Arbeit gesucht haben, bringen neben dem Wochen- und Monatslohn oft auch das Virus mit nach Hause und infizieren ihre Frauen. Deshalb appellieren nicht nur die Kirchen an die eheliche Treue. Präsident Museveni schlug vor, zum alten Brauch der frühen Heirat zurückzukehren: Eheschließungen im Alter von 18 statt mit 28 Jahren, meinte der Präsident, würden dem häufigen Partnerwechsel vorbeugen. „In einer Aids-Umgebung hat es für die Jungen nicht viel Sinn, mit dem Heiraten lange zu warten.“
Frances Nassuuna arbeitet als Gesundheitsberaterin in einem Pilotprojekt der Diözese Masaka mit, das seit 1988 von Misereor, Missio und Caritas mit mehr als einer Viertelmillion Mark unterstützt wird. „Aids Community Concern soll den Menschen helfen, Lösungen für die medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und spirituellen Probleme zu finden, die von der Pandemie Aids verursacht werden“, definiert die gelernte Krankenschwester und Hebamme das Ziel des Projekts. „Neu daran ist der Ansatz, das Aids-Programm und die Gesundheitsfürsorge in der Gemeinde zu integrieren.“
„In der ersten Phase des Projekts ging es um die Mobilisierung in den Gemeinden. Alle wurden herangezogen, um bei der Bewußtseinsbildung zu helfen: Katecheten, Mitglieder der Resistance Committees, Lehrer und Ärzte“, erläuterte Frances Nassuuna. „In der zweiten Phase fand in den Dörfern eine detaillierte Aufklärung über Entstehung, Verbreitung und Vermeidung von Aids statt. Wir beschrieben den Leuten genau die Anzeichen und Symptome, an denen man Aids erkennt, und machten Vorschläge, wie sie den Kranken helfen könnten.“ Oft habe es an ganz einfachen Dingen wie Bettlaken, Seife oder bestimmten Nahrungsmitteln gemangelt. Mit Geld von Misereor habe man dann vor Ort erhältliche Waren wie Reis und Maismehl gekauft. Hinzugekommen sei Milchpulver aus Deutschland. „Die Leute, die wir geschult hatten“, so die Gesundheitsberaterin, „führten uns in der dritten Phase zu den Aids-Kranken, die uns dann ihre Bedürfnisse mitteilten.“
Die größte Sorge vieler Patienten gilt ihren Kindern: „Was wird mit ihnen geschehen, wenn sie zu Waisen geworden sind?“ Wenn der Räuber „Mubbi“, wie Aids im Rakai-Dialekt genannt wird, Vater und Mutter geholt hat, sind es manchmal Tante und Onkel, die die Verantwortung übernehmen, manchmal die Großeltern, nicht selten die älteren Geschwister.
Bei Aids Community Concern, sagt Frances Nassuuna, werde das Problem der Gemeindeversammlung vorgetragen und dort diskutiert. „Normalerweise beschließen die Leute, die Waisen auf verschiedene Familien zu verteilen.“
Würdevoll sterben
Ende dieses Jahres wird bei Aids Community Concern eine Zwischenbilanz gezogen. Frances Nassuuna und ihre Kollegen sind gespannt zu erfahren, was die Betroffenen vom Projekt haben, wie stark sich die Gemeinden daran beteiligen und wie viele trainierte Mitarbeiter im Einsatz sind. Die medizinische Hilfe, die gewährt werden kann, ist bescheiden, die fürsorgliche Begleitung der Todkranken wird dafür um so wichtiger genommen. Frances Nassuuna: „Wir wollen, daß diese Menschen würdevoll sterben können.“
Jemandem mitzuteilen, er sei HIV-infiziert oder bereits an Aids erkrankt, ist eine schwere Aufgabe. Bei den Betroffenen löst diese Hiobsbotschaft meist einen schweren Schock aus. Häufig wird das Ergebnis der Untersuchung zunächst verdrängt, dann folgen bei den meisten Depressionen. Das berichten diejenigen, die in der Beratung arbeiten und Aids- Kranke betreuen.
Auch Suna, der „Held“ in dem Film „It's Not Easy“ reagiert so. Er kann es nicht glauben, daß seine Frau und das Baby das Virus haben und daß er es war, der sie damit angesteckt hat. Ein Glück, daß Suna eine Frau wie Serra hat, die ihn nicht verurteilt, einen Freund wie Magazi, der zu ihm hält, und einen verständnisvollen Chef, der ihm vermittelt, daß die Firma es sich nicht leisten kann, auf einen wertvollen Mitarbeiter wie Suna zu verzichten. Suna lernt zu akzeptieren, daß er nur noch eine begrenzte Lebensspanne vor sich hat, daß er aber dennoch das Beste daraus machen sollte: positiv mit Aids zu leben.
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