Im Zweifel für die Wanze?

Eine Grundgesetzänderung soll den großen Lauschangriff ermöglichen/ Der SPD-Chef Engholm ist dafür, die FDP-Justizministerin und renommierte Professoren sind dagegen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, warf seinen Kritikern jüngst vor, mit Schlagworten billige Polemik zu betreiben. Wenn es darum geht, ob künftig erlaubt wird, Gespräche in privaten Wohnungen abzuhören, spricht der oberste Kriminaler vornehm von „elektronischer Aufklärung“ oder „elektronischer Überwachung“. Das Wort vom „Lauschangriff“ möchte Zachert am liebsten aus der Diskussion gebannt sehen: „Die Verwendung eines emotional derart aufgeladenen Begriffes schadet der Sache nur.“ Der BKA- Chef ist überzeugt, daß nur der Lauschangriff die Abschottung krimineller Organisationen durchbrechen kann. Das heißt konkret: Der Gesetzgeber soll den Einsatz von elektronischen Wanzen gesetzlich absichern.

Als im Sommer das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom Bundestag verabschiedet wurde, sparten die Parlamentarier bewußt eine Regelung für den „Lauschangriff“ aus. Koalition und Opposition stimmten mehrheitlich in der Auffassung überein, daß dafür das Grundgesetz geändert werden müßte, das in Artikel 13 die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Als am 22. September das OrgKG in Kraft trat, nutzte Innenminister Rudolf Seiters die Gelegenheit, weitergehende Regelungen zu fordern. Vor der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion mahnte er an, „daß es dringend notwendig ist, die rechtlichen Voraussetzungen zum Einsatz technischer Mittel zu schaffen, um Verbrecher auch in Wohnungen abhören und Gespräche aufzeichnen zu können“. Die Zustimmung der Unionsfraktionen ist ihm sicher.

„Legalise it“, heißt es auch in den Reihen von FDP und SPD. Als gelte es, Regierungsfähigkeit zu demonstrieren, plädierte der SPD- Vorsitzende Björn Engholm für den Einsatz verdeckter Kameras, versteckter Abhöranlagen und verdeckter Ermittler. Angesichts der wachsenden Kriminalität erkannte Engholm: „Es geht nicht mehr anders“. Der Sozi weiß aber auch, daß diese Forderung in den eigenen Reihen auf entschiedenen Widerspruch stößt. Er sei bereit, „mehr staatliche Härte walten zu lassen, als das anderen – auch in meiner Partei – lieb ist“.

Die geforderte Grundgesetzänderung stellt auch die Liberalen vor eine Zerreißprobe. Während Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) größte Bedenken anmeldet, formulierten auf dem letzten Deutschen Juristentag in Hannover die FDP-Politiker Kleinert, Zurheide und Van Essen die Bedingungen, unter denen sie einem Lauschangriff zustimmen könnten. Der Einsatz des elektronischen Geräts müßte danach an die Genehmigung einer Landgerichtskammer gekoppelt werden und die Überwachungsmaßnahmen generell auf einen Zeitraum von etwa zwei Wochen begrenzt werden.

Gegen eine „Legalisierung des Lauschangriffes“ haben sich inzwischen renommierte ProfessorInnen ausgesprochen. Einen entsprechenden Aufruf der Humanistischen Union haben 94 Professoren, darunter die Staatsrechtler Michael Bothe und Hans Lisken, die Strafrechtler Ulrich Klug und Jürgen Baumann sowie die Politologen Iring Fetscher, Peter Grotian und Wolf-Dieter Narr, unterzeichnet. Sie appellieren an Bundesrat und Bundestag, „nicht wegen eines vermeintlichen Sachzwanges grundlegende Prinzipien unserer Verfassung preiszugeben“. Mit der Erlaubnis zum Lauschangriff erhalte die Polizei „die Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, die in diesem Ausmaß sogar den Geheimdiensten der Bundesrepublik verwehrt sind“. „Höchst zweifelhaft“ sei weiter, heißt es in der vorgestern veröffentlichten Erklärung, „ob solch schwerwiegende Eingriffe wirklich greifen“. Mafiosi würden sich schnellstens auf den Lauschangriff einstellen – sie würden ihre Gespräche im Freien oder bei lauter Hintergrundmusik führen.

Der Nutzen eines Lauschangriffs ist selbst unter den Sicherheitsbehörden umstritten. Anläßlich einer Schaltkonferenz der Staatssekretäre der Innenministerien hielten die Vertreter Brandenburgs fest: „Die Erfahrungen in der Terrorismusbekämpfung haben gezeigt, daß beispielsweise die RAF von der – irrigen – Annahme ausging, daß die Sicherheitsbehörden das gesprochene Wort in Wohnungen abhörten, und deshalb konspirative Absprachen außerhalb geschlossener Wohnungen stattfanden.“ BKA-Chef Zachert hielten sie entgegen: „Aus hiesiger Sicht werden die unterstellten Ermittlungserfolge zumindest nicht in dem gewünschten Ausmaße eintreten.“