: Hot dog und Experimentalfilm
■ Interview mit Andreas Wildfang, Organisator des Filmfestivals „Jäger und Sammler“
taz: Inwieweit knüpft die Veranstaltung an das Festival „Perlen für die Säue“ (1991) an, wo es auch um eine neue feministische Perspektive in bezug auf Sexualität und Pornographie ging?
Andreas Wildfang: „Perlen für die Säue“ war eine Bestandsaufnahme von Filmen zum Thema Sexualität, die von Frauen produziert wurden. Das ging zurück bis in die Siebziger. Bei „Jäger und Sammler“ geht es mehr um den individuellen Umgang mit Sexualität, Grenzen und Grenzüberschreitungen. Beispielsweise ist „The Deadman“ von Peggy Ahwesh ein radikales Crossover von Feminismus und Pornographie. Sie eckte damit bei allen Fraktionen an.
Welchen Stellenwert haben die Programme im gegenwärtigen Mediengeschehen der USA? Gibt es vergleichbare Veranstaltungen, und wie häufig sind sie zu sehen?
Es gibt in den USA viel mehr Veranstaltungsorte, an denen solche experimentellen Programme zu sehen sind. Hier ist es so, daß Experimentalfilme meist nur auf Festivals zu sehen sind, und Festivals haben immer den Beigeschmack einer Leistungsschau. „Jäger und Sammler“ versucht eben, Experimental- und Avantgardefilm in einen eher populären Zusammenhang zu stellen. Ich glaube, daß Experimentalfilme auch durchaus für das Leben derjenigen, die die Sachen sehen, interessant sein können.
Was genau ist der populäre Aspekt des Projektes?
Ich denke, es ist schon ungewöhnlich, wenn man die „History of American Exploitation Film“ mit Programmen von Leslie Thornton zeigt. Die „History“ wurde von Jack Stevenson zusammengestellt, der das Programm live kommentieren wird. Er ist ein manischer Filmsammler, der sich um den Exploitation-Aspekt der Filmgeschichte kümmert. Seiner Meinung nach paßt die Show gut in das Konzept, weil diese alten Exploitation-Maniacs, die schon in den zehner und zwanziger Jahren anfingen, Filme zu zeigen und auch zu produzieren, eigentlich klassische Nomaden waren. Einfach, weil sie etwas Illegales taten und mit mobilen Projektoren von Ort zu Ort ziehen mußten.
Was heißt denn Exploitation?
Ausbeutung, obwohl das ein ungenaues Wort ist. Diese frühen Filme spiegeln das wider, was die Leute eigentlich im Kino sehen wollten. Die Sensation des Verbotenen, Sexuellen, Kriminellen, Monströsen und Obszönen. Alles Sachen, die Hollywood und der europäische Film nicht geliefert haben. Das Massenpublikum hatte Bedürfnisse, die nur von diesen Filmen befriedigt wurden. Exploitation aber auch deswegen, weil sich diese Filme beim Hollywoodkino bedienten an Geschichten, Plots und Figuren, diese aber mit ihren Inhalten anfüllten. Die „History“ zeigt Filme von 1917 bis 1970, wobei die Schwerpunkte auf den Roadshow-Jahren der Zwanziger bis Vierziger liegen. Ab 1970 ist der Untergang des Exploitationfilms zu verzeichnen, weil die Infrastruktur, beispielsweise die Autokinos, zusammenbrach und die Themen auch von Hollywood absorbiert wurden. Man denke an „Jaws“ von Spielberg, der nichts anderes als ein gigantisches B-Movie ist.
Parallel zum Festival läuft im Offenen Kanal eine Auswahl amerikanischer Public-Access-Programme, also ebenfalls aus Offenen Kanälen. Ist das auch als Grenzüberschreitung aus dem Kinosaal heraus in eine zugängliche Distributionsform gedacht?
Es geht darum, zu zeigen, was im Offenen Kanal möglich ist, wenn sich Künstler dort engagieren. Beispielsweise Buffalo: Tony Conrad, ein international anerkannter Videokünstler, stellt sich wöchentlich für „TV Off The Streets“ vor das Rathaus und fragt die Besucher, was sie drinnen zu tun haben.
Public Access ist dort also wesentlich stärker mit Demokratisierung und „Geschichte von unten“ verbunden?
Ja, aber auch mit den Möglichkeiten des Mediums. Es gibt wirklich interessante Beispiele wie interaktive Game-Shows oder die „Elektronische Anklagebank“ von Brian Springer in San Francisco, wo die Bürgermeisterin auf der Anklagebank saß und die Bürger sich per Telefon in die Rollen des Staatsanwalts, des Richters, Verteidigers oder Zeugen und auch der Bürgermeisterin selbst einwählen konnten. Daraus können sich ganz interessante Sachen entwickeln.
Das klingt ein wenig nach einer Spielwiese in Sachen Demokratie, die aber abgeschnitten bleibt von wirklichen Machtverhältnissen. Nach dem Motto: Macht mal euren Offenen Kanal, damit wir ungestört fortfahren können.
Der Witz ist aber, daß tatsächlich die großen Fernsehstationen betroffen sind. Zum Beispiel gibt es Programme, wo Leute im Offenen Kanal die jeweiligen Top-Stories eines Nachrichtenmagazins von ABC verfolgt haben und die gleiche Geschichte aus einem anderen Blickwinkel präsentieren. Nämlich, indem sie Leute fragen, wie die Medien mit ihnen umgegangen sind. Das führte dazu, daß ABC sich so sehr in seiner Kredibilität und seinem Wirkungskreis eingeschränkt sah, daß sie dagegen geklagt haben. Also eine Klage auf das Monopol der Nachricht, die sie natürlich verloren haben.
...Public Access als eine Art Gegenkontrolle...
Ja, es ist nicht eine bloße Spielwiese, wo man sagt: Ja, macht mal. Es kann tatsächlich den Effekt haben, daß die Leute sehen, wie sie in den Medien repräsentiert werden und wie sie repräsentiert werden könnten. Helmut Merschmann
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