: Induráins arme Brüder
Süd-Nord-Gefälle im Radsport verschärft sich/ Spekulationen über Induráins Teilnahme an der Vuelta 93 ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – Als glatten Schlag ins Gesicht empfanden es Spaniens Radsportfans, was sich ihr Idol Miguel Induráin in diesem Jahr leistete. Schwänzte er doch glatt ihr nationales Heiligtum, die Spanien- Rundfahrt, nur, um kurze Zeit später ein solch bedeutungsloses Ereignis wie den Giro d'Italia zu gewinnen. Erst mit dem überlegenen Sieg bei der Tour de France konnte Induráin seine Landsleute einigermaßen versöhnen, obwohl sie ihren Liebling auch dort nicht leibhaftig zu Gesicht bekamen, da die Pyrenäen nicht Bestandteil der Tour 92 waren.
Im nächsten Jahr soll das alles anders werden. Zwar führt die Frankreich-Rundfahrt auch dann nicht durch Spanien, aber die gefürchteten Pyrenäenpässe sind wieder im Programm, und Tausende von iberischen Induráin-Anhängern werden die Straßen säumen, um dem eleganten Basken zum dritten Toursieg in Folge zuzujubeln. Der brutale, bergige Kurs der Tour des Jahres 1993 gibt den Spaniern zudem Hoffnung, daß Induráin diesmal wieder bei ihrer „Vuelta a Espana“ an den Start geht, eine Rundfahrt, die er noch nie gewonnen hat – für einen spanischen Radstar ein geradezu unfaßbarer Makel. Den kraftraubenden Giro kurz vor der Tour wird Induráin angesichts der Prüfungen, die in Frankreich auf ihn warten, kaum fahren, die Vuelta, die am 26. April in La Coruna beginnt und am 16. Mai in Santiago de Compostela endet, könnte hingegen eine passende Vorbereitung sein. Die Veranstalter sind an einer Teilnahme des weltbesten Radfahrers natürlich höchst interessiert, taten allerdings nicht viel, um ihn zur Teilnahme zu animieren. Einen Kurs, „der ihn nicht für den Rest der Saison fertigmacht“, hatte sich José Miguel Echávarri, Chef von Induráins Banesto-Team, gewünscht, statt dessen stellte sich nun bei der Präsentation der Vuelta 93 heraus, daß sie von harten Bergetappen nur so strotzt. Hinzu kommt, daß Induráin die in dieser Jahreszeit vor allem in den Pyrenäen und den asturischen Bergen herrschende Kälte und den Regen haßt wie die Pest. Außerdem ist es durchaus möglich, daß Banesto die Kapitänswürde bei der Spanien- Rundfahrt als Dank für seine Treue erneut seinem Vizekönig Pedro Delgado verleiht, der die Vuelta gern als erster Radler zum drittenmal gewinnen möchte.
Während Induráins Mitwirkung also noch sehr fraglich ist, wird Vorjahressieger Tony Rominger ebenso dabei sein wie Alex Zülle, Laurent Jalabert und Eric Breukink. Sie alle hat es im Bäumchen- wechsel-dich-Spiel am Ende der abgelaufenen Saison zu spanischen Rennställen verschlagen.
Andere haben den Schrumpfungsprozeß im Radsport nicht so gut verkraftet. Die Arbeitsplätze sind rar geworden, nachdem renommierte Sponsoren wie PDM, Buckler, Panasonic, RMO, Z, Helvetia, Seur und Tulip den Laden dichtmachten. Während in Italien und Spanien mit den Giganten Banesto (Delgado, Induráin), Carrera (Chiappucci, Roche) und Gatorade (Bugno, Fignon) die Geschäfte dank der Dominanz der Fahrer aus diesen Ländern glänzend laufen, grassiert in den alten Radsportnationen Niederlande, Belgien und Frankreich der Pleitegeier.
„Das Z-Team war sehr gut für das Geschäft“, sagt beispielsweise Roger Zannier, Produzent von Kinderkleidung, „aber es ist Zeit, etwas anderes zu versuchen.“ Nachdem sein Star Greg LeMond bei der Tour 1992 schlappgemacht hatte, verscherbelte Zannier seine Mannschaft an den Versicherungskonzern GAN. LeMond wird weiter für das Team fahren, allerdings mit drastisch reduzierten, leistungsorientierten Bezügen.
Neben dem Z-Team fanden auch Jan Raas (ehemals Buckler) mit der Mineralölfirma Novemail- Histor und Peter Post (vorher Panasonic) mit dem Computerhersteller WordPerfect neue Sponsoren, der Rest verschwindet in der Versenkung. Die Fahrer versuchten derweil verzweifelt, irgendwo unterzukommen. Die deutsche Telekom-Mannschaft sicherte sich die Dienste des Panasonic-Überbleibsels Olaf Ludwig und setzte dafür Andreas Kappes vor die Tür, der bei einem kleinen italienischen Team für wenig Geld Unterschlupf fand. PDM-Star Eric Breukink unterschrieb beim Once (Spanien), Steven Rooks von Buckler geht zu Festina (Spanien), ebenso Pascal Lino und Richard Virenque von RMO, beide in diesem Jahr Träger des Gelben Trikots der Tour. Ihr Team war von einem Konkursgericht aufgelöst worden und auch ein Wiederbelebungsversuch durch einen „arabischen Prinzen“ scheiterte. Der edle Herr entpuppte sich als internationaler Dunkelmann. Charly Mottet und Ronan Pensec, ebenfalls aus der RMO-Konkursmasse, heuerten bei Peter Post an.
Leidtragende waren die Formschwachen wie Rolf Gölz, der künftig Mountainbike fährt, und die namenlosen Wasserträger, die häufig vergeblich nach einem Job Ausschau hielten und als beräderte Reservearmee auf einen schlechtbezahlten Domestikenposten harren. „Wir sind nicht in Eile“, sagt Harrie Jansen, Manager von WordPerfect, „da draußen gibt es eine Menge Fahrer.“
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