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Publizist und Naturwissenschaftler: Aron Bernstein

■ Eine exemplarische Studie von Julius H. Schoeps

Aron Bernstein, geboren 1812 in Danzig, gestorben 1884 in Berlin, ist nicht nur eine Gründergestalt der Berliner Zeitungsgeschichte, sondern auch ein Repräsentant der jüdischen und deutschen Geschichte des 19.Jahrhunderts.

Während der Revolution 1848 gründete er die demokratische Urwähler-Zeitung. Organ für Jedermann aus dem Volke, die, viel gelesen und von der Obrigkeit unterdrückt, seit 1852 dann mit demselben Untertitel als Volks-Zeitung erschien. 1933 wurde sie von den Nationalsozialisten „gleichgeschaltet“ und existierte danach noch bis zum 1. Februar 1939. Aron Bernstein bestimmte die Linie dieser Zeitung und schrieb als weithin bekannter und anerkannter Publizist bis zu seinem Tode die Leitartikel. Darin unterstützte er zwar die Politik des Sozialreformers Schulze-Delitzsch und die „Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine“, hielt aber schon Lassalle für einen Demagogen: „Wo der Staat die Sorge der Arbeiter übernimmt, da werden sie zu Staatssklaven.“ Bernsteins Hauptgegner indes warendie Reaktion und die preußische Obrigkeit, von denen er im Gegenzug zum öffentlichen Feind erklärt wurde.

Die Schoeps' Untersuchung geht über die Rekonstruktion ideologischer Kämpfe freilich weit hinaus. Er erneuert die Methode der Personenbeschreibung (Prosopographie), um die Transformation der Aufklärung darzustellen. Mithilfe der Darstellung der Person wie auch über die Erfassung eines Geflechts personaler Beziehungen verknüpft Schoeps Momente der Bewußtseins-, Religions-, Sozial- und Ereignisgeschichte, um die politische Entwicklung seines Protagonisten darzustellen: Er erinnert an Bernstein und seine Zeit, damit die deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte unter der Leitidee der Aufklärung ihr Recht behält.

Dies gilt nicht nur für den Kampf Bernsteins für den demokratischen Verfassungsstaat. Schoeps behandelt auch Aron Bernsteins Bedeutung für die Religionsreform des Judentums und entfaltet damit die immer noch aktuelle Problematik der Religion in der Moderne.

Bernstein gehört zu den Gründern der berühmten Berliner Reformgemeinde. Schriften und Artikel für diesen Kontext schrieb er gelegentlich auch unter dem Pseudonym Rebenstein. Da er zudem einer der ersten Autoren von Novellen über das Ghetto war, werden wir wie nebenbei auch in die literarische Gattung der „Ghetto-Novellen“ eingeführt. Von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse schließlich ist Bernstein als Verfasser „naturwissenschaftlich- philosophischer Studien“ sowie als naturwissenschaftlicher „Volksschriftsteller“ (so die Diktion von Meyers Lexikon aus dem Jahre 1908). Seine „naturwissenschaftlichen Volksbücher“ umfaßten 21 Bände und erschienen in fünf Auflagen; Albert Einstein bekannte, sie mit „atemloser Spannung“ gelesen zu haben. Interessant ist hier zu beobachten, wie Bernstein den „Messiasglauben“ mit dem „wissenschaftlichen Fortschritt“ verknüpfte.

Es gehört zu den Stärken des Bandes, daß das umfangreiche Quellenmaterial – das mühsam aufzufinden war, weil der Bernstein-Nachlaß verschollen ist – exakt interpretiert sowie übersichtlich in die Darstellung integriert wird. Die Schwäche der Untersuchung hingegen resultiert wohl aus den strikten Regeln der Geschichtswissenschaft. Schoeps hält sich in theoretisch-spekulativer Hinsicht sehr zurück, und auch seine Sympathiebekundung hätte ruhig stärker ausfallen können.

Insgesamt durchzieht diese Recherche die Trauer um den Verlust deutsch-jüdischen Lebens. Doch die „deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte“ war nach Schoeps „immer auch die Geschichte der Demokratie und der Gefahr ihres Scheiterns vor 1933“. Nun gibt es aktuellen Anlaß genug, die Lektüre dieser exemplarischen Arbeit dringend zu empfehlen. Claus E. Bärsch

Julius H. Schoeps, „Bürgerliche Aufklärung und liberales Freiheitsdenken. A. Bernstein in seiner Zeit“. Burg-Verlag, Stuttgart/ Bonn 1992, 29,80DM

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