: Heute feiert in Berlin eine der ältesten und einst größten Friedensorganisationen Europas ihren 100. Geburtstag: die Deutsche Friedensgesellschaft, deren Geschichte so prominente Namen zieren wie Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und Martin Niemöller. Noch hat die heutige DFG-VK ihre Zusammenarbeit mit der DKP nicht völlig aufgearbeitet. Von Andreas Zumach
Die Waffen nieder!?
Der Ort der DFG-Gründung entsprach ganz der gesellschaftlichen Schicht, aus der sich vor hundert Jahren die Pazifisten rekrutierten. Nicht im Hinterzimmer einer Berliner Arbeiterkneipe, sondern in der Weinstube des vornehmen Hotels „Kaiserhof“ wurde am 9. November 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“ aus der Taufe gehoben – angeführt von den beiden österreichischen PublizistInnen Bertha Freiin von Suttner und Alfred Herrmann Fried, die später den Friedensnobelpreis erhielten. Durch ihr 1889 veröffentlichtes Buch „Die Waffen nieder!“ – es schildert das Schicksal einer Frau in den europäischen Kriegen zwischen 1859 und 70/71 – war Suttner zu einer führenden Persönlichkeit der internationalen Friedensbewegung geworden.
Hauptbasis der DFG bildeten bis zum 1. Weltkrieg Bürgertum und Intellektuelle, Arbeiter waren kaum vertreten. „Schaffung einer Schiedsgerichtsbarkeit“, „internationale Verständigung“ und „Abrüstung“ hießen ihre zentralen Forderungen. Das bedeutete keineswegs die grundsätzliche Absage an den Einsatz von Waffen. Zwar wandte sich die Organisation entschieden gegen „kolonialistische Exzesse und imperialistische Expansionspolitik“ des deutschen Kaiserreiches. Genug, um die DFG heftigen Angriffen auszusetzen, obwohl sie das „Recht Deutschlands zum Verteidigungskrieg“ bejahte und im August 1914 ihre Mitglieder ausdrücklich dazu aufrief, aus „patriotischer Pflicht“ in den Krieg zu ziehen.
Nach dem 1. Weltkrieg gewann der „radikale Pazifismus“ an Gewicht. Diese Strömung forderte eine eindeutige Anerkennung der Kriegsschuld Deutschlands. Sie proklamierte die Verweigerung von Kriegsdienst und Arbeit in Rüstungsbetrieben, orientierte sich zudem stark an sozialistischen Vorstellungen. Die DFG erhielt erheblichen Zulauf aus der Arbeiterklasse, vor allem von gewerkschaftlich organisierten Sozialdemokraten. Der Beitritt des zum Pazifisten konvertierten Generals Freiherr von Schönaich sowie der Literaten Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky trug zum Aufschwung bei.
In den Jahren vor 1933 gehörte die DFG zu den frühesten und entschiedensten Warnern vor Nationalsozialismus, Diktatur und Krieg. Nur vier Wochen nach Hitlers Machtantritt wurde die Organisation verboten und aufgelöst. Für zahlreiche Mitglieder und Funktionäre folgten Berufsverbot, Verhaftung, KZ und Exil – nur wenige kehrten zurück.
Vor dem Aussterben gerettet
Nach dem 2. Weltkrieg war der Neuanfang schwierig, das Interesse bei Jugendlichen ging zurück, 1968 hatte die Friedensgesellschaft weniger als 1.000 Mitglieder. Nur die im selben Jahr vollzogene Fusion mit der „Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK)“ rettete die DFG vor dem Aussterben. 1974 schloß man sich mit dem „Verband der Kriegsdienstgegner“ zur DFG-VK zusammen, wie sie bis heute besteht. Der neue Verband hatte damals knapp 12.000 Mitglieder und in Kirchenpräsident Martin Niemöller einen auch international hochangesehenen Präsidenten. Die Propagierung der Kriegsdienstverweigerung und die KDV-Beratung wurden zum Hauptschwerpunkt der Arbeit. Darüber hinaus war die DFG-VK eine der aktivsten und mit 100 bis 150 Ortsgruppen effektivsten Organisationen in den Friedens- und Abrüstungsbewegungen der letzten 20 Jahre. Heute setzt sie sich gegen Rüstungsexporte und für die Kampagne „Bundesrepublik ohne Armee“ ein.
Tabu: Kommunisten in der DFG
Mehr noch als andere Organisationen, die sich unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges für fortschrittliche Veränderungen einsetzten, schleppte die DFG-VK jahrzehntelang ein großes Dilemma mit sich herum. Das Verhältnis zur kommunistischen Partei sowie die Rolle von Kommunisten in der DFG wurde nicht offen diskutiert und war mit zahlreichen Tabus belegt. Die Kommunisten, die das Dritte Reich überlebt hatten, forderten oft unkritische Solidarität für sich ein. Die Verfolgung der KPD in der Adenauer-Ära und die Repressionen gegen DKP- Mitglieder wie das Berufsverbot leisteten dem unkritischen Anti- Antikommunismus weiteren Vorschub. Es gab in der DFG-VK (und auch in der übrigen Friedensbewegung) immer zuwenig Mitglieder wie etwa die Karlsruher Sonhild und Uli Thiel. Unter Kenntnis und Beachtung der deutschen Geschichte setzten sie sich offen kritisch mit inhaltlichen Positionen der DKP und ihrer Bündnispolitik auseinander. Als radikale Demokraten lehnten sie zugleich jedoch Ausgrenzungsmaßnahmen gegen Kommunisten ab und engagierten sich gegen die Bespitzelung von DKP-Mitgliedern.
Unter Thiels langjähriger Geschäftsführung wurde der Landesverband Baden-Württemberg in den 70er und 80er Jahren innerhalb der Bundes-DFG-VK zum Vorreiter der Kritik auch an östlicher Aufrüstung, entwickelte frühe Kontakte zu unabhängigen Friedensgruppen in der DDR und setzte sich für neue Aktionsformen wie gewaltfreie Blockaden von Militärstandpunkten ein. Von Thiel stammt der seit 1980 blockübergreifend von der Friedensbewegung benutzte Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“.
Als 1990 auf den Verbandstisch kam, wo und wie die DKP durch die gezielte Plazierung von Parteimitgliedern in wichtigen DFG- VK-Positionen, durch regelmäßige Geheimtreffen dieser Kader mit Funktionären der Partei sowie durch verdeckte Spenden Einfluß genommen hatte, war das Entsetzen groß. Manche beklagen, daß dieser Vorgang bis heute politisch nicht wirklich aufgearbeitet und bewältigt wurde.
Die vor zwei Jahren ausgelöste schwere Vertrauenskrise hat nach Einschätzung von Bundesgeschäftsführer Niels Petring (Berlin) mit beigetragen zum Rückgang der Mitgliederzahl von über 13.000 Mitte der 80er Jahre auf derzeit 9.000. Zudem verweist er auf die „generell abnehmende Bereitschaft Jugendlicher“, sich in Vereinen zu organisieren, und die „Tatsache, daß viele ein Engagement für Frieden und Abrüstung derzeit nicht mehr für wichtig halten“.
Immer noch männerdominiert
„Die Waffen nieder! Sag's vielen, vielen!“ Mit diesen Worten starb Bertha von Suttner am 21. Juni 1914, sieben Tage bevor mit den Schüssen von Sarajevo der erste Weltkrieg ausgelöst wurde.
Die Welt ist diesem Ziel heute kaum näher als vor hundert Jahren. In Sarajevo wird wieder geschossen. Aber auch das Vorbild der DGF-Gründerin, die sich als eine der wenigen Frauen in der durch Patriarchat und Militarismus geprägten Gesellschaft des Kaiserreiches öffentlich politisch engagierte, hat zumindest in der eigenen Organisation wenig nachgewirkt. Bis heute ist die DFG-VK ein stark männerdominierter Verband, stärker noch, als das für die übrige Friedensbewegung gilt. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß seit 1990 zwei Frauen im Bundesvorstand sitzen, denn nur zehn Prozent der Mitglieder sind Frauen.
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