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Endstation Veracruz

Mexiko war für viele Emigranten im Zweiten Weltkrieg die letzte Rettung/ Dort wurden sie mit offenen Armen empfangen/ Steffie Spira und Walter Janka erinnern sich an ihre Zeit im Exil  ■ Von Stefan Schaaf

Südfrankreich, 1941: Tausende von deutschen Emigranten sind schon seit zwei Jahren von den französischen Behörden interniert. Auch die Berliner Schauspielerin Steffie Spira und ihr Sohn sitzen im Lager Rieucros fest und müssen das Schlimmste befürchten. Das Vichy-Regime hat sich im deutsch- französischen Waffenstillstandsvertrag vom 25. Juni 1940 verpflichtet, „alle in Frankreich und seinen Besitzungen befindlichen Deutschen, die von der deutschen Regierung namhaft gemacht werden, auf Verlangen auszuliefern“.

Im Herbst 1941 wird die Zeit für sie und viele andere knapp: „Wir hatten die Zusicherung der Nazi- Kommission Kundt, die in Siegerpose durch diese französischen Lager gegangen war: Wenn wir bis Oktober nicht außerhalb Frankreichs sind, gehen wir nach Auschwitz.“

Weil sich im Sommer 1941 der Kriegseintritt der USA immer deutlicher abzeichnete, erhielten sie die versprochenen US-Visa nicht mehr. Hilfe kam von unerwarteter Stelle, dem mexikanischen Generalkonsul in Marseille. „Er hat uns die Visa gegeben“, sagt Steffie Spira, „also sozusagen das Todesurteil gestrichen.“

Es war eine Rettung in letzter Minute – schon zum zweiten Mal in Spiras Leben. 1933, als die Nazis sie in Berlin verhaften wollten, hatte ein Polizeibeamter sie durch die Reihen der SS geschmuggelt und ihr so zur Flucht nach Frankreich verholfen. Steffie Spira stand aus zwei Gründen auf den Listen der Nazis: Sie war Jüdin, und sie hatte zu Beginn der dreißiger Jahre in Berlin in verschiedenen linken Theatergruppen mitgespielt und stand der KPD nahe.

Viele Länder haben in jenen Jahren deutschen Flüchtlingen die Einreise erlaubt, doch nirgendwo sonst sind diese Menschen von der Regierung des Gastlandes mit offeneren Armen empfangen worden als in Mexiko. Die Immigration der etwa 3.000 deutschsprachigen politischen Flüchtlinge zu organisieren, die zwischen 1940 und 1942 in das mittelamerikanische Land kamen, war nicht leicht. Die verschiedenen in den USA tätigen antifaschistischen Hilfskomitees arbeiteten fieberhaft, der mexikanischen Regierung die Namen und den genauen Verbleib der in Frankreich internierten Antifaschisten mitzuteilen und die für die Überfahrt notwendigen Geldmittel aufzutreiben.

Steffie Spira ging im November 1941 in Lissabon an Bord der vom Roten Kreuz gecharterten „Serpa Pinto“. Ihr Ziel: Veracruz, Mexiko. In Casablanca warteten weitere Emigranten, so auch Walter Janka, der in den internationalen Brigaden für die spanische Republik gekämpft und zuletzt illegal in Frankreich gelebt hatte.

Mexiko – ein fremdes, doch vom ersten Moment an faszinierendes Land. Eigentlich hatten die meisten der Neuankömmlinge in die Sowjetunion oder die USA gewollt. Im nachhinein sagen sie heute aber, sie hätten Glück gehabt, daß es anders kam: Die Jahre in Mexiko seien die besten ihres Lebens gewesen.

Mit der „Bewegung Freies Deutschland“ wollten die Neuankömmlinge alle politischen Kräfte, von den Kommunisten bis ins bürgerliche Lager, gegen Hitler zusammenschließen. Mit der Zeitschrift Alemana Libre sollte der antifaschistische Widerstand auf dem amerikanischen Kontinent mobilisiert werden; der „Heinrich- Heine-Club“ wurde zur Dachorganisation des künstlerischen Schaffens der deutschen Emigranten.

In Mexiko-Stadt, in der Calle Venustiano Carranza 21, fanden regelmäßig politische Vorträge, Lesungen, Konzerte und Theateraufführungen des Heinrich-Heine- Clubs statt. Besonders die jüdischen Flüchtlinge – die große Mehrheit der deutschsprachigen Emigranten in Mexiko – wollten den Kontakt zur deutschen Kultur nicht verlieren, auch wenn sie mit Deutschland gebrochen hatten.

Steffie Spira und ihre Freunde hatten schon im Pariser Exil und dann sogar in den französischen Internierungslagern Theater gespielt. In Paris hatten sie Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ uraufgeführt. Viele der daran beteiligten Schauspieler waren nun auch in Mexiko dabei: „Während der ganzen Zeit der Emigration haben wir Theater gespielt“, erinnert sich Steffie Spira.“

Eines der Stücke des Heine- Klubs war Kischs „Die Himmelfahrt der Galgentoni“, eine Geschichte aus Prag. In Mexiko vertiefte sich Egon Erwin Kisch bald in historische und landeskundliche Studien und schrieb ein Buch voller spannender und überraschender Abenteuergeschichten: „Entdeckungen in Mexiko“. Das Buch erschien im Exilverlag „El Libro Libre“. Ein Honorar konnte ihm der Verlagsleiter Walter Janka jedoch dafür nicht bezahlen.

Der Verlag „El Libro Libre“ war ein abenteuerliches Unterfangen. Außer dem Wohlwollen der mexikanischen Regierung und der persönlichen Opferbereitschaft seiner unbezahlten Mitarbeiter hatte er bei seiner Gründung am 10. Mai 1942 nichts auf der Haben- Seite vorzuweisen. Walter Janka, der Geschäftsführer des Verlags, sagt: „Keiner von uns war sich darüber klar, was zur Arbeit eines Verlages alles dazugehört, wie schwierig das ist.“ Weil es in Mexiko keinen der deutschen Sprache mächtigen Maschinensetzer gab, mußten sie „alle Silben mit Bleistift trennen, damit er weiß, wo die Trennung zu erfolgen hat. Wissen Sie, wie viele Silben ein normales durchschnittliches Buch hat? 500.000 – so viele Striche mußte man machen. Und dann mußten wir dreimal Korrektur lesen.“ Eine der schwierigsten Aufgaben Jankas war, „ein Vertriebsnetz aufzubauen, das bis Shanghai, bis Südafrika und bis Palästina ging und den ganzen amerikanischen Kontinent beliefern konnte“. Zwanzig Werke sind bei „El Libro Libre“ in deutscher, vier weitere in spanischer Sprache gedruckt worden, vor allem das „Schwarzbuch über den Nazi-Terror“, ein Gemeinschaftswerk von fünfzig namhaften Autoren aus 16 Ländern.

Der Krieg in Europa, das Schicksal der Juden und die Zukunft Deutschlands beherrschten die Gedanken und Diskussionen der Exilanten. Sie hatten ungehinderten Zugang zur Weltpresse und den Nachrichten der ausländischen Sender. So konnten sich die kommunistischen Exilanten ihreeigene Meinung bilden: „Im Unterschied zu den Exilanten in der Sowjetunion, die zu keiner Zeit zur Judenfrage wirklich Stellung genommen hatten“, sagt Janka, „stellten wir uns die Frage, was werden soll, wenn Hitler besiegt ist.“

Was in Auschwitz passierte, hätten sie in Mexiko „mindestens 1943, Anfang '44“ erfahren. „Deswegen stellten wir damals zur Diskussion, ob wir nach Kriegsende den Juden das Recht auf eine nationale Minderheit zugestehen sollten. Das war aus kommunistischer Sicht natürlich eine Todsünde! Zweitens waren wir der Meinung, daß man den Juden das Recht zuteilen muß, einen eigenen Staat zu schaffen, wenn sie es wollen. Und das war natürlich auch eine Todsünde aus der Sicht der dogmatischen Kommunisten.“

Einige der Emigranten aus Mexiko brachten diese Thesen nach ihrer Rückkehr in die DDR in große Schwierigkeiten. In den frühen fünfziger Jahren wurden gegen sie groteske Beschuldigungen erhoben, einige kamen in Haft oder verloren ihre politischen Ämter. Die DDR-Literatur zum antifaschistischen Exil in Mexiko verschwieg dies lange Jahre, selbst nachdem die fälschlich Beschuldigten in den späten fünfziger Jahren rehabilitiert worden waren.

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