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Polisario droht mit neuem Krieg

Die Westsahara-Befreiungsfront ist bereit, wieder gegen Marokko zu kämpfen/ Auflösungserscheinungen und Kriegsmüdigkeit  ■ Aus Wien Thomas Dreger

„Das sahrauische Volk ist bereit zu kämpfen. Wir werden wieder zu den Waffen greifen, wenn es nötig ist!“ Mohammed Salem Ould Salek, Außenminister der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ (DARS) und Mitglied der für die Unabhängigkeit kämpfenden „Frente Polisario“ wirkte kämpferisch. Zum Abschluß der 18. Europäischen Westsahara- Koordinierungskonferenz forderte er am Sonntag in Wien, Marokko müsse „gezwungen werden, internationales Recht zu akzeptieren“, andernfalls würde die Polisario den am 6. September 1991 eingestellten Kampf gegen Marokko wiederaufnehmen.

Seit 1975 halten Truppen von Königs Hassan II dreiviertel der Westsahara völkerrechtswidrig besetzt. Sechzehn Jahre bekämpften sich Sahrauis und Marokkaner. 165.000 sahrauische Flüchtlinge leben in Zeltlagern im südalgerischen Tindouf. Am 29.April 1991 beschloß der UN-Sicherheitsrat einen Friedensplan für das rohstoffreiche Wüstenstück. Schon im Januar dieses Jahres hätten demnach die Sahrauis in einem Referendum über Unabhängigkeit oder Anschluß der Westsahara an Marokko abstimmen sollen. Doch der Friedensplan ist seit Monaten blockiert. Währenddessen läßt der König in der Westsahara Stück für Stück vollendete Tatsachen schaffen. Am 4.September dieses Jahres ließ er in Marokko und den besetzten Gebieten über eine neue marokkanische Verfassung abstimmen. Am 16.Oktober fanden großmarokkanische Kommunalwahlen statt. Und die UNO hüllt sich in Schweigen.

Die rund 120 Teilnehmer der Wiener Konferenz setzten sich aus Mitgliedern von Solidaritätsgruppen und Politikern aus Europa und den USA sowie Vertretern der Polisario zusammen. Aus Deutschland waren Mitarbeiter von „medico international“ und der „Gesellschaft der Freunde des sahrauischen Volkes“ angereist. Als einzig deutsche Politikerin kam die SPD- Europaabgeordnete Barbara Simons. Während des zweitägigen Treffens verurteilten die Teilnehmer „die Passivität der UNO“ und forderten Sanktionen gegen Marokko. Es sei nicht akzeptabel, „daß die UNO mit zweierlei Maß mißt“, heiß es in der Abschlußresolution. Gegen andere Staaten wie Irak, Jugoslawien und Libyen würde wegen Völkerrechtsverletzungen vorgegangen, Marokko bliebe unbehelligt.

Bachir Moustapha Sayed, der für die Polisario mit der UNO und Marokko verhandelt, kritisierte: „Die Passivität der UNO kann vielleicht auch als Komplizenschaft mit Marokko gewertet werden.“ Polisario-Unterstützer wie die österreichische SPÖ-Abgeordnete Waltraud Schütz verzeichnen eine zunehmende Resignation der für die Westsahara zuständigen UN-Vertreter, die einherginge mit einer beständigen Annäherung der UN-Positionen an Marokko. Tatsächlich lesen sich die Berichte des UN-Generalsekretärs Butros Butros Ghali zu Westsahara auffallend marokkofreundlich. So verzeichnete Ghali in seinem letzten Report vom 20.August für die drei Monate zwischen Juni und August nur sechs Verletzungen des Waffenstillstands durch marokkanische Truppen. Jarat Chopra, der im Auftrag des US-Senats im August die Region bereiste, berichtete dagegen unter Berufung auf übereinstimmende Angaben von UN-Personal und Polisario von „fünf bis sieben marokkanischen Verletzungen alle 72 Stunden“.

Obwohl kaum ein Konferenzteilnehmer noch an eine bevorstehende Unabhängigkeit der Westsahara glaubte, wurde in Wien ein Aktionspaket aus Postkartenaktionen, Protesten vor marokkanischen Botschaften und Aufrufen zum Tourismusboykott beschlossen. Die Maßnahmen dürften freilich kaum geeignet sein, um Hassan II in die Knie zu zwingen. Ein Fünkchen Hoffnung richtete sich auf die neue US-Regierung. Zumindest der demokratische US-Senator Edward Kennedy gilt als Freund der Sahrauis. Dennoch ist es unwahrscheinlich, daß es sich Bill Clinton leisten kann, Marokko als engen Verbündeten der USA zu brüskieren.

Die meisten Delegierten haben sich auf eine lange Durststrecke eingerichtet. „Es kommt darauf an, wie lange die Sahrauis in den algerischen Lagern aushalten“, meinte Michael Schwahn von „terre des hommes“. „Die Hilfslieferungen müssen unbedingt weitergehen“, sagte Eva Wichtmann von „medico international“, räumte aber ein, daß zahlreiche Sahraui-freundliche Hilfsorganisationen keine Vertreter mehr nach Wien geschickt hätten.

Mohammed Salem Ould Saleks Drohung, zum bewaffneten Kampf zurückzukehren, galt unter Kennern der Situation in den Lagern als wenig realistisch. Die meisten Sahrauis wären nicht bereit, einen weiteren Krieg zu erleiden, lautete die Einschätzung. Fragen warf auch die innere Verfassung der Polisario auf. Überraschend fehlte Mohammed Habibullah, der Chef des sahrauischen „Roten Halbmonds“, dem islamischen Pendant des Roten Kreuzes. Seine Abwesenheit nährte Gerüchte über Flügelkämpfe.

Seit es 1988 in den Lagern bei Tindouf zu Protestkundgebungen gegen die Polisario-Führung kam, ist bekannt, daß es hinter den Kulissen der Befreiungsbewegung brodelt. Die sich nach außen demokratisch gebende Polisario hat sich intern der traditionellen sahrauischen Stammesstrukturen nie entledigt. Ein übermächtig gewordener Geheimdienst verhaftete und folterte bis Ende der achtziger Jahre Dissidenten. Offiziell hat die Polisario mit dieser Vergangenheit gebrochen, doch die meisten der damaligen Verantwortlichen sind immer noch in Amt und Würden.

Mehrere Kader wechselten seitdem die Seiten. Polisario-Kenner vermuten, einige weitere Kader der Organisation unterhielten ebenfalls Privatkontakte nach Marokko und arbeiteten an ihrer Zukunft in einem marokkanisch-sahrauischen Bundesstaat. Die Sahrauis, so fürchteten Delegierte, könnten so „zur Verhandlungsmasse zwischen Marokko und Polisario-Führung werden“.

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