piwik no script img

Polizei verschweigt erfrorenen Obdachlosen

■ Runder Tisch Wohnungslosigkeit fordert Nachtcafés und ärztliche Notversorgung

Berlin. Die Meldung über den ersten erfrorenen Berliner Wohnungslosen in diesem Winter ist in der Polizeibürokratie untergegangen. Vergangenen Freitag war Harald Herrmann morgens tot auf den Stufen der Kreuzberger Emmauskirche gefunden worden. Die Meldung über seinen Tod wurde jedoch mit der Begründung, es sei darüber bereits in mehreren Zeitungen berichtet worden, nicht in den Polizeipressedienst vom Wochenende aufgenommen. Die Meldung war allerdings längst auf unergründlichem Weg in die Boulevardpresse gelangt.

Vertreter des Kreuzberger Bezirksamtes, der Kirchengemeinden und der Zweiten Berliner Wohnungsloseninitiative trafen gestern zu einem „Runden Tisch Wohnungslosigkeit“ zusammen, um über Konsequenzen aus dem Vorfall zu beraten. Dabei waren sich alle einig, daß das Problem Wohnungslosigkeit langfristig nur durch die Schaffung von genügend Wohnraum zu lösen ist.

Die Kirchengemeinden, die im Winter Notunterkünfte anbieten, können mit ihren etwa 100 Plätzen nicht einmal einen Bruchteil der Obdachlosen aufnehmen. Alle anderen werden von den Sozialämtern mit Kostenübernahmescheinen in „Läusepensionen“ geschickt oder müssen „Platte machen“, das heißt im Freien schlafen. Aber selbst für die Aufnahme in den kirchlichen Notunterkünften sind spätestens ab der zweiten Übernachtung „Läusescheine“ erforderlich, die das Gesundheitsamt ausstellt. Und für manche der Obdachlosen, so wie wohl auch für den erfrorenen Harald Herrmann, sei bereits diese bürokratische Hemmschwelle zu hoch, erklärte die Pfarrerin der Emmausgemeinde am Lausitzer Platz, Ulla Franken.

„Hier werden ganze Bevölkerungsschichten systematisch ausgemerzt“, sagte der Pfarrer Joachim Ritzkowsky. Zur Soforthilfe regten die TeilnehmerInnen des Runden Tisches deshalb die Einrichtung von durchgehenden Nachtcafés an, in denen die Wohnungslosen sich aufhalten können. Auch eine mobile ärztliche Notversorgung hätte schon längst in Gang kommen sollen.

Mittelfristig sollen außerdem die Bezirksämter dafür sorgen, daß leerstehende Wohnungen ermittelt und den Wohnungslosen zur Verfügung gestellt werden. Es sei nicht Aufgabe der Gemeinden, Essens- und Schlafsackausgaben vor der Kirche aufzubauen, sagte Ritzkowsky, vielmehr sollte das Bezirksamt seine Zuständigkeit wahrnehmen. Über die Durchsetzung dieser Forderungen soll bei weiteren Treffen des „Runden Tisches Wohnungslosigkeit“ in den nächsten Wochen beraten werden. akk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen