Zivilisten mit eingeschränkten Rechten

■ Die Zukunft der rund 7.900 Zivilbeschäftigten der Alliierten ist weiterhin ungewiß

Berlin. „Früher wurde unser Einsatz für die Freiheit von Berlin gelobt, bekamen wir Urkunden, und heute kriegen wir einen Tritt in den Hintern.“ Uwe Grosse, seit dreißig Jahren bei den Amerikanern beschäftigt und im Mai vergangenen Jahres zum Vorsitzenden des Hauptpersonalrates bei den US-Streitkräften gewählt, kann seinen Ärger kaum verbergen. Besonders erzürnt den 50jährigen, daß manche ehemaligen DDR-Grenzer heute schon wieder beim Bundesgrenzschutz ihren Dienst versehen, während die Zukunft seiner Kollegen bei den alliierten Streitkräften weitgehend ungesichert ist. Noch sind nach Angaben der Gewerkschaft ÖTV rund 7.900 von einst 11.000 Zivilisten bei den drei westlichen Alliierten beschäftigt. Vom Gärtner, Wachmann über den Koch bis zum Techniker – die Spannbreite umfaßt fast jede Berufsart. 3.800 Zivilisten stehen bei den Amerikanern in Lohn, gefolgt von 2.500 bei den Briten und 1.600 bei den Franzosen. Bezahlt werden die alliierten Streitkräfte in Berlin nach wie vor aus den Mitteln des Bundes: in diesem Jahr werden 1,14 Milliarden Mark aus Bonn fließen, davon 620 Millionen für Personalkosten. In zwei Jahren, wenn die letzten Einheiten der ehemaligen sowjetischen Armee Ostdeutschland verlassen haben, müssen auch die Alliierten ihre Koffer in Berlin packen. Dem nahenden Ende sehen die Beschäftigten mit Sorge entgegen. Vor allem in rechtlicher Hinsicht sind sie gegenüber ihren Kollegen, die bei deutschen Arbeitgebern beschäftigt sind, bei Kündigungen erheblich benachteiligt. Denn die alliierte „Berlin-Kommandantura-Order 80 (13)“ von 1981, die die Grundlage für die zivilen Beschäftigten bildete, hat vor den deutschen Arbeitsgerichten nach wie vor Bestand – trotz Wiedervereinigung und voller Souveränität der Bundesrepublik wurde sie nie außer Kraft gesetzt.

Auch das Oberverwaltungsgericht, vor dem im Frühjahr dieses Jahres der Hauptpersonalrat bei den britischen Streitkräften in Berlin geklagt hatte, folgte im Grundsatz dieser Rechtsprechung. Das Bundespersonalvertretungsrecht gilt nach Ansicht der Richter bei den alliierten Streitkräften nur im eingeschränkten Umfang. So durften die Angestellten und Arbeiter zwar im Mai 1991 erstmals Personalräte wählen, zugleich wurden ihre Mitwirkungs- in bloße Mitbestimmungsrechte umgewandelt. Konsequenz: Ein Initiativrecht für einen Sozialplan haben die Arbeitnehmervertretungen bei den Alliierten nicht. Ebensowenig werden sie bei Kündigungen angehört, sondern lediglich informiert. Grosse fühlt sich durch die Rechtsprechung verschaukelt: „Es wird nach wie vor so getan, als unterliegen die Beschäftigten dem Besatzungsrecht.“

Auch ÖTV-Sekretär Andreas Franke hat bei den Alliierten noch „kein großes Umdenken“ festgestellt. Nach wie vor werde man den Eindruck nicht los, daß „das alte Prinzip von Schalten und Walten nach eigenem Gutdünken in den Köpfen steckt.“ Jüngstes Beispiel: 780 zivilen Beschäftigten der US- Streitkräfte auf dem Flughafen Tempelhof wurde im September dieses Jahres von den Amerikanern gekündigt. 130 sollen bis März, der Rest bis Ende Juni 1993 entlassen werden. Einen Tag bevor die Kündigungen verschickt wurden, war dem Hauptpersonalrat auf einer Sitzung noch versprochen worden, daß in nächster Zeit keine Entlassungen anstünden. „Die haben wissentlich gelogen“, ärgert sich Franke.

Doch auch zum Senat existiert seit geraumer Zeit ein angespanntes Verhältnis. Zwar gibt es im Tarifvertrag, der 1974 zwischen dem Finanzsenator einerseits und den Gewerkschaften ÖTV, DAG und Komba andererseits vereinbart wurde, eine sogenannte Übernahmeklausel. Doch sie ist lediglich eine Kannbestimmung für den Senat. Daneben sieht der Vertrag Überbrückungsbeihilfen vor. Doch gelten sie nur für jene Beschäftigten, die mindestens 40 Jahre alt und mindestens zehn Jahre bei den Alliierten gearbeitet haben. Diesem Personenkreis wird im ersten Jahr ihres neuen Berufslebens die Differenz zur vorhergegangenen Tätigkeit bei den Alliierten voll ersetzt, im zweiten Jahr bis zu neunzig Prozent. Wer nicht die Kriterien des Tarifvertrages erfüllt, erhält eine Abfindung. Rund 4.500 Mitarbeiter fallen nach Aussage der ÖTV unter die Übernahmeklausel. Angesichts des Haushaltsdefizits sind die Aussichten aber gering, daß sie im öffentlichen Dienst unterkommen werden. Auch Franke weiß um die prekäre Haushaltslage Berlins. Was ihn jedoch ärgert, ist „die Halbherzigkeit, die der Senat bisher in dieser Frage an den Tag gelegt hat“.

Daran hat auch die Steuergruppe bisher nichts geändert, die seit April dieses Jahres existiert und in der Arbeits- und Innenverwaltung, Landesarbeitsamt, Alliierte, Gewerkschaften und Vertreter des Bundesfinanzministeriums gemeinsam nach Lösungen für die Beschäftigten suchen wollen. Im November wurden erstmals über die Lohn- und Gehaltslisten genauere Daten zur sozialen und beruflichen Stellung der Betroffenen erfaßt. „Reichlich spät, aber immerhin“, wie Franke meint.

Doch auch mit Qualifizierungsmaßnahmen steht es nicht zum besten. So erzählt Franke von mehreren Köchen bei den Briten, die Schulungskurse besuchen wollten. Während ihrer Abwesenheit sollten Teilzeitkräfte eingestellt werden. Doch das Landesamt für Verteidigungslasten, eine Unterabteilung des Finanzsenators und für die Verteilung der Bundesmittel zuständig, stellte sich quer. Daraufhin sagten die Briten die Freistellung ihrer Köche ab. Für Franke stellt sich die Situation alles andere als rosig dar: „Bei den Alliierten arbeiten Zivilbeschäftigte aus 61 Nationen. Ohne Schulungshilfe fallen viele in ein tiefes Loch.“ Severin Weiland