: Von Europa lernen, aufsässig zu sein
■ Staatssekretär für Arbeit Peter Haupt stellt auf Kongreß den Berliner Sozialbetrieb vor/ Scharfe Kritik an Bonn
Mitte. Das Land Berlin geht in der Arbeitsmarktpolitik auf Konfrontationskurs zum Bund. Es sei empörend, daß der Etat von 100 Milliarden Mark der Bundesanstalt für Arbeit zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit verwendet werde, sagte gestern Arbeits- Staatssekretär Peter Haupt. Berlin hingegen werde Arbeitslose verstärkt in sogenannten Sozialbetrieben beschäftigen. Sozialbetriebe nehmen gemeinnützige Aufgaben wahr, sie sind in privater Unternehmensform organisiert, werden aber staatlich subventioniert. Für dieses neue arbeitsmarktpolitische Instrument stellt das Land 1993 150 Millionen Mark zur Verfügung, sagte Haupt am Rande des Kongresses „In Europa voneinander lernen“. Berlin wolle seine Vorstellungen auch in eine Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) einbringen, dessen gerade laufende Änderung der Staatssekretär heftig kritisierte.
Die Arbeits- und Frauensenatorin Christine Bergmann hatte bereits bei der Eröffnung des Kongresses die vorgesehene Novellierung des AFG als „verheerendes politisches Signal“ bezeichnet. Sie hatte gefordert, die arbeitsmarktpolitischen Finanzmittel in die Regie der Länder zu geben. Haupt präzisierte nun die Worte seiner Chefin dahingehend, daß es „neben dem erwerbsorientierten und staatlichen Arbeitsmarkt einen dritten geben muß, der nicht auf dem Hinterhof stattfindet.“ Er solle von Sozialbetrieben geprägt sein, die über Laufzeiten von fünf bis acht Jahren staatliche Subventionen erhielten, etwa in Form von Lohnkostenzuschüssen. Das neue berlinische arbeitsmarktpolitische Rahmenprogramm enthalte weiter die Möglichkeiten kleinteiliger Wirtschaftsförderung. Die herrschende Arbeitsmarktpolitik kritisierte Haupt mit den Worten: „Das Geld (für Arbeitslose, Red.) wird auf eine Weise eingesetzt, wie wir es alle nicht wollen.“
Der Kongreß befaßte sich drei Tage lang mit der Frage, wie Beschäftigungspolitik strukturpolitische Funktionen übernehmen könne. Er wurde veranstaltet von der Service-Gesellschaft „zukunft im zentrum“ und fünf von ihr betreuten ABM-Projekten sowie dem Forschungsprojekt Lokale Ökonomie der Technischen Universität. Der Kongreß, an dem über 600 Leute teilnahmen, solle eine dauerhafte Berliner Einrichtung werden, kündigte beim gestrigen Abschlußpodium Haupt an.
Auf der Suche nach einer urbanen Beschäftigungspolitik für die Metropole Berlin gingen die Teilnehmer mit dem New Yorker Stadtsoziologen Peter Marcuse mit: wirtschaftliche und stadtplanerische Entscheidungen müßten arbeitsmarktpolitisch angeleitet sein. Investitionen dürften nie getrennt vom Stadtteil geplant werden. Damit war man wieder bei der „Lokalen Ökonomie“, einem Begriff, der mit diesem Kongreß etabliert sein dürfte. Lokale Ökonomie sei die Befriedigung lokaler Bedürfnisse durch Unternehmungen per „gezielter kommunaler Anschubfinanzierung“, formulierte Haupt ganz frei – und die Wissenschaftler staunten. cif
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