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Aber sie haben keine Idee

■ Seit acht Jahren machen die Schüler freiwillig Überstunden wg. Friedhelm Nordbrinks Computertreff / Die Bremer Computerkids, 7. Folge

Woche für Woche schleppt er per Umzugskarton seine höchstpersönlichen Computer in die Schule und hinterher wieder nach Hause, und das seit geschlagenen acht Jahren. Friedhelm Nordbrink, Lehrer am Schulzentrum Obervieland, war damals der erste, der sich mit seinen Schülern zum Tüfteln vor den Bildschirm hockte. Seither ist jeden Dienstag Compi-Treff. Da begegnen die Cracks den durchaus Mittleren und die Leutseligen den Einsamen: „Zur Zeit sind das vor allem die Übersiedlerkinder“, sagt Nordbrink und weiß sich auch keinen Rat. „Die schreiben dann Briefe nach Rußland oder Polen, aber sonst...“

Dabei ist sein Treff schon eher einer für Knobler und pfiffige Kerle, für die „vielleicht 30 unter tausend“, die „gerne selber zur Quelle gehen“. Mit ihnen fertigt er säuberliche Texte und kleine Programme, meist in Logo, und hat gut zu tun, „weil die schneller lernen, als man sich Aufgaben ausdenken kann“. Ohne Aufgaben allerdings geht es nicht, sagt er, „die kommen dann an und sagen: Herr Nordbrink, haben Sie nicht eine Idee, was wir programmieren könnten? In den Befehlen sind sie viel fixer als ich, aber sie haben keine Idee.“

Wenn sie dann eine kriegen, werkeln sie in zwei, drei Gruppen, hie die Amiga- und dort die C 64-User, und die wieder unterteilt in drei Leute pro Gerät, und je ein Könner muß den Supervisor machen. „Es war ganz witzig“, sagt Nordbrink, „wie schnell die den Lehrer imitierten. Am zweiten Tag schon ließen sie Tests schreiben; nee, nee, Herr Nordbrink“, sagten sie, das muß schon sein!“

Einmal machte Nordbrink in der Volkshochschule einen Logo-Kurs; pikanterweise hatten sich viele Kollegen dafür angemeldet. Nordbrink aber brachte seine Knirpse mit, „erst bloß zum Kabelanschließen und so, aber plötzlich standen die überall an den Geräten und erklärten den Lehrern, wie's läuft. Seitdem heißt's oft: Herr Nordbrink, können wir nicht mal wieder 'n Kursus machen?“

Zwar haben seine Lehrerkollegen inzwischen die Vorbehalte der Anticomputerkassenbewegung überwunden, aber ihren Unterricht werden sie wohl dennoch nicht mehr umkrempeln: „Die sind ja alle über vierzig. Dabei wäre längst der Musiklehrer, der Biolehrer, der Kunstlehrer gefragt.“ Nordbrinks Gruppe ist grad mit den schicken neuen Animationsprogrammen befaßt; ein Älterer hat gar schon die Gabe erworben, platzende Buchstaben zu Gesichtern zu fügen, „den bewundern die alle maßlos“.

Selbst Nordbrink aber will nicht so recht glücklich werden mit diesem Trend: „Das ist mir zu speziell, das können die auch zuhause, dafür brauchen sie mich nicht.“ Und mit all den Spielen kann er erst recht nichts anfangen: „Vielleicht ein Charakterfehler von mir. Ich bin zu ungeduldig.“ Er hat's durchaus probiert, mit Flugsimulatoren etwa, „leider bin ich immerzu abgestürzt“. Nur dem Ausziehspiel Strip Poker ist er mal vorübergehend verfallen, „weil ich auf die Tricks kommen wollte, nicht wegen der schäbigen Grafik. Nein, da weiß ich viel schönere Dinge, da weiß ich Logo, Pascal, meine Briefe.“ Gespielt wird also nicht bei Nordbrinks Treffs, „das erlaube ich nur in der letzten Viertelstunde, und da auch nur Tetris. Übrigens zieht es ja auch sofort alle Aufmerksamkeit ab, wenn's da bei einem in der Ecke anfängt zu ballern“.

Bei allem jugendbildnerischen Ethos: Daß die bremischen Schulen jetzt lauter Macintosh-Computer angeschafft haben, das hält er doch für fatal. „Erstens sind das nicht die Geräte, die die Kinder zuhause haben. Und dann sind das ja nur so kleine schwarzweiße Mäusekinos, da gehen die nicht ran.“ Nordbrink hingegen plädiert für „Geräte, die neugierigeres Schülerverhalten unterstützen. Dazu gehört leider auch diese Show- Seite, das Bunte, klar.“

Wenn es sich in den Dienst der Idee fügt, ist ihm das Bunte schon recht. Neuerdings erwägt er, mit seiner Gruppe eine Aula-Zeitung zu produzieren. Ein Kollege am Alten Gymnasium hat's mit Erfolg vorgemacht: Die Kids als eher textferne Geschöpfe wissen ja im allgemeinen nach fünf Minuten nicht mehr, was sie noch schreiben sollen; im Zeitungsfalle aber tüftelten sie ausdauernd an ihren Themen herum, und am Ende, im „Textlabor“ vor den Computern, ging's mit der Gestaltung flugs dahin. Die einen wußten was über Layout, die andern hatten die Rechtschreibung drauf, und die Technik der Textverarbeitung war sowieso kein Problem: „Das haben sich die in zwei Stunden gegenseitig beigebracht.“

Das wär ein Lernen nach Nordbrinks Sinn. Stattdessen herrscht neuerdings an bremischen Schulen die gußeiserne Majestät des Lehrplans für Informationstechnische Grundbildung (ITG), „dafür hat der Bildungssenator auch gleich noch 40 Hauptfachstunden abgezwackt. Ein Unding!“ Lieber sollten, sagt Nordbrink, „mal ein paar Angebote her, wo die sich reinspielen können.“ Und schon denkt er wieder voran: an ein

hierhin bitte

den Mann mit

Brille

Friedhelm Nordbrink, guter Hirte seiner KidsHolzapfel

paar schlichte Modems zum Beispiel, zwecks Flanieren in fernen Mailboxen. „Allein was man sich dort schon alles besorgen kann, ist doch großartig.“ Manfred Dworschak

Bisher erschienen:

-„Der elektronische Indianer“ / Europaweit verzweigte Demogroups machen immer verzwicktere Grafiken (14.10.)

-„Return to Gutersloh“ / Auf Nachtflug mit 2nd Ltd. Stefan Schnaars, Spezialist für Flugsimulatoren (20.10.)

-„Der virtuelle Bienenstock“ / Über Bremens betriebsame Mailbox-Szene (3.11.)

-„Götz der Beste“ / Ein Spastiker erobert mit Händen und Füßen die Welt hinter dem Bildschirm (9.11.)

-„Glanz und Elend der Parallelwelt“ / Stefan Hofmann programmiert Spiele und nichts als sie (12.11.)

-„Immer der neueste Stuff“ / Neue Bremer Studie zeigt: Die Kurzen spielen alles, die Alten wissen nichts (13.11.)

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