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Gegenseitige Verwundungen ertragen

■ Interview mit Andreas Nachama, dem Leiter der Jüdischen Kulturtage

taz: Das Verhältnis heute zwischen Deutschen und Juden wird von zwei Polen geprägt: Auf der einen Seite erleben wir einen neuen antisemitischen Vandalismus, auf der anderen einen Boom für Judaica, eine Nostalgiewelle für das Schtetl. Welche Bedeutung haben für Sie in diesem Zusammenhang die Jüdischen Kulturtage: „Osteuropa nach dem Holocaust“?

Nachama: Bisher war es so: Der Umgang mit verstorbenen Juden war geregelt, ritualisiert. Schwierig wurde und wird es immer dann, wenn sich Juden in eine aktuelle Situation einmischen.

Gleichzeitig haben seit der Maueröffnung viele Menschen jüdische Synagogen oder Friedhöfe in Osteuropa entdeckt, und das hat Fragen aufgeworfen. Osteuropa war der von Juden am dichtesten besiedelte Raum der Welt; da herrschte eine turbulente Vielfalt von zionistischen, mystischen, legalistischen oder sozialistischen Strömungen. Die nationalsozialistische Kriegsmaschinerie hat bekanntermaßen dort eine ungeheure Verwüstung angerichtet; aber es hat trotzdem immer eine gewisse Kontinuität gegeben.

Wir zeigen diese Lebenswelten, zum Beispiel in den Fotos von Edward Serotta, ohne didaktische Einklammerung und ebenso selbstverständlich, wie jüdische Künstler oder Journalisten inzwischen hier auftreten und arbeiten. Diese Selbstverständlichkeit und das Interesse für jüdische Lebenswelten vor dem Krieg schaffen eine Atmosphäre, die ganz anders ist als noch vor zehn Jahren, unverkrampfter und weniger formelhaft.

Sie sind also optimistisch?

Ich bin vorsichtig. Das deutsch- jüdische Verhältnis ist zu sehr im Fluß, als daß so grobe Raster wie Antisemitismus und Philosemitismus wirklich helfen könnten.

Natürlich gibt es viele Deutsche, die sagen, die Nachkriegszeit sei beendet, der ständige Kotau vor den Opfern nicht mehr nötig, man könne jetzt selbstbewußt mit deutscher Geschichte umgehen. Gleichzeitig haben sich auch die jüdischen Deutschen auf ihre Art von der Geschichte „abgenabelt“. Man konnte nicht ständig davon sprechen, daß der Mord an den europäischen Juden das jüdische Leben in Deutschland vollkommen ausgelöscht hat, und gleichzeitig neue Gemeindezentren und Synagogen bauen.

Ende der 80er Jahre gab es daher eine Art „Revival-Bewegung“, welche die jüdischen Traditionen zunächst einfach museal fortsetzte und konservierte.

Auf beiden Seiten gerät etwas in Bewegung. Ein höheres Maß an Dissens wird nun sichtbar, auf der Straße, aber auch auf der intellektuellen Ebene. Was am Schluß dabei herauskommt, ist ungewiß.

Wenn man die Geschichte dieses Verhältnisses in der Nachkriegszeit betrachtet, vom völligen Schweigen in den Fünfzigern über Brandts Kniefall in den Sechzigern...

Moment! Anfang der Sechziger gab es eine starke antijüdische Welle in der Bundesrepublik, was heute oft vergessen wird. Einige Intellektuelle, darunter Böll, gründeten daraufhin die Bibliothek Germanica Judaica, und es gab Ausstellungen wie „Monumenta Judaica“ und „Synagoga“. Aber das waren eben alles vergangenheitsorientierte Darstellungen. Ein Dialog fand da nicht statt.

Dann kam Brandt und hat das, was sich in dieser kleinen intellektuellen Nische abspielte, in die Republik hineingetragen. Die Generation der 68er fragte ihre Eltern: Was habt ihr gemacht? Folge war ein Boom von Ausstellungen und Buchpublikationen, die den Faschismus analysierten.

Jetzt kommt eine neue Generation, die all das gelernt hat und die wissen will, was jetzt passiert. Man muß in Zukunft eben bereit sein, gegenseitige Verwundung hinzunehmen.

Der Tod Heinz Galinskis, so scheint es, beendet eine bestimmte Phase im deutsch-jüdischen Verhältnis.

Die Ära Galinski war tatsächlich ein Aufbau nach dem völligen Untergang. Galinski hat, gleich einer tibetanischen Gebetsmühle, immer das gleiche gesagt, ohne sich zu wiederholen. Er legte den Finger auf einen Punkt, der eigentlich immer als „erledigt“ galt. Galinski ist eben nicht, wie einige andere Repräsentanten, mit den Mördern tanzen gegangen.

Was hat sich jetzt mit Ignatz Bubis geändert?

Der jetzigen Generation ist der „Zivilisationsbruch“ im „Bauch“ bewußt. Es geht jetzt nicht mehr um Aufklärung, sondern darum, wie man künftig, auch in einem Europa der Regionen, der Minderheiten miteinander umgeht. Da sind dann die Juden eine Stimme unter vielen, die sich allerdings eher einer Region als einer nicht existierenden jüdischen Einheit zugehörig fühlen.

Ist das nicht eine gegenläufige Entwicklung: Bubis als Leiter des Zentralrats eher links von Galinski stehend, während die jüdische Gemeinde selbst durch den momentanen Zustrom traditionell konservativer osteuropäischer Juden eher nach rechts rückt?

Bubis repräsentiert durchaus eine Gemeinde; er ist ja nicht vom Zentralrat irgendwo eingekauft worden, sondern hat über Jahre der Frankfurter Gemeinde vorgestanden und auch lange im Zentralrat gewirkt. Galinski hat zu seiner Zeit das, was die Juden in Deutschland sich nicht einmal hinter vorgehaltener Hand zu sagen wagten, öffentlich ausgesprochen. Dadurch hatte er ein hohes Maß an Zustimmung, nicht bei den Intellektuellen, aber in der Gemeinde. Das hat Bubis auch, obwohl er etwas ganz anderes sagt! Daran sieht man eben, wie sehr sich die Zeiten geändert haben.

Liegt das nicht daran, daß vielen nicht genau klar ist, was Bubis tatsächlich sagt, daß nämlich nicht der Antisemitismus das Hauptproblem ist, sondern Rassismus schlechthin?

Nein, ich glaube, die Gemeinde weiß das sehr genau, aber da hat eben ein Lernprozeß stattgefunden. Die Leute, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, haben ja dieselben Faschismustheorien gewälzt wie ihre nichtjüdischen Zeitgenossen.

Denen ist klar, daß es hier nicht in erster Linie um Antisemitismus geht, sondern darum, die gesellschaftlichen Positionen zu benennen, die wieder zu Rassismus und Ausländerfeindlichkeit führen.

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