: 10000 Hamburger haben Grund zur Klage
■ Die unsichtbare Gefahr durch Elektosmog wächst ständig / Behörden und Betreiber verschließen die Augen
wächst ständig / Behörden und Betreiber verschließen die Augen
Man sieht sie nicht, man riecht sie nicht, und Hamburgs Umweltbehörde nimmt sie nicht zur Kenntnis. Aber der menschliche Körper reagiert: Elektromagnetische Wellen, die von Richtfunksendern abgestrahlt werden, lösen nach Meinung von Experten Kopfschmerzen, Übelkeit und Hautrötungen aus, beeinträchtigen sogar die Gehirnfunktionen. Eine schwedische Studie kommt zu dem Ergebnis, daß sich das Leukämie-Risiko für Kinder, die in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen wohnen, verdoppelt. Amerikanische Forscher meinen gar: Die Blutkrebs- Rate erhöht sich auf das Vierfache.
„Prozessieren Sie gegen die Anlagen, die Rechtslage ist eindeutig“, fordert der Amelinghausener Rechtsanwalt Wilhelm Krahn-Zembol die Anwohner von Funktürmen und Hochspannungsmasten auf. In Hamburg gibt es nach Zählung der GAL allein über 90000 Sendeanlagen, die „Elektrosmog“ erzeugen. Durch den Ausbau des Mobilfunknetzes kommen ständig neue Strahlenquellen hinzu. „Von den bestehenden 90000 Sendeanlagen müssen mindestens 10000 als besonders problematisch für die Gesundheit eingeschätzt werden“, warnt der GAL-Umweltexperte Joachim Schulze-Bergmann.
Etwa genausoviele Menschen leben nach Berechnungen der GAL in unmittelbarer Nähe der „Elektrosmog“-Quellen, hätten deshalb bei einer Klage berechtigte Erfolgsaussichten. Rechtsanwalt Krahn-Zembol sagt: „Prozessieren kann jeder, der nicht weiter als etwa 200 Meter von Funktürmen und Sendeanlagen entfernt wohnt.“
Noch vor wenigen Jahren schmetterten die Richter solche Klagen regelmäßig ab. Das hat sich geändert. So befand das Oberverwaltungsgericht Lüneburg unlängst, daß eine Gefährdung der Nachbarn von Elektrosmog-Quellen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. „Das aber ist die Voraussetzung für die Genehmigung einer Sendeanlage“, erklärt Krahn- Zambol. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht stoppte vor kurzem gar den Bau eines Telekom–Funkturms, weil die Genehmigungsbehörden die emissionsschutzrechtliche Seite nicht geprüft hatten.
Doch die Prüfung von Gesundheitsrisiken durch Funkstrahlen findet in der gesamten Bundesrepublik kaum statt. Als das Bundesamt für Strahlenschutz 1990 entsprechende Forschungsprojekte ausschrieb, strich das Umweltministerium die dafür benötigten Gelder. Auch die Telecom und die Firma Mannesmann, die das Mobilfunknetz bundesweit ausbaut, wollten eine Risikostudie in Auftrag geben. Doch die Vorstände beider Unternehmen sorgten im Schulterschluß dafür, daß der Auftrag für das möglicherweise geschäftsschädigende Gutachten storniert wurde. Krahn- Zambol: „Wer nicht nach Risiken sucht, wird auch keine finden“.
Selbst Umweltsenator Fritz Vahrenholt will von einer Gefährdung der Hamburger durch elektromagnetische Wellen nichts wissen. „Vorhandene Hochspannungsleitungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu verlegen“, ließ Vahrenholt die GAL im Frühjahr
1wissen, sei „sachlich nicht gerechtfertigt“. Lieber wolle er sich „auf die Verminderung von Umweltlasten konzentrieren, deren Schädlichkeit unumstritten ist“.
Inzwischen räumt allerdings auch die SPD ein, daß die elektromagnetischen Wellen „Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben können“. In einem aktuellen Bürgerschaftsantrag fordert die Fraktion von Bonn verbindliche Elektrosmog-Grenzwerte und die Einrichtung eines bundesweiten Immissionskatasters. Über Hamburger Maßnahmen steht in dem Antrag kein Wort. Denn der Senat räumte unlängst ein, daß die Emission elektromagnetischer Strahlen in der Hansestadt „derzeit nicht meßtechnisch erfaßt werden“ könne, da „entsprechende Ausstattungen nicht vorhanden sind“.
„Hamburg braucht schleunigst Geräte und Fachleute, die die Elektromagnetischen Felder messen können“, klagt Joachim Schulze- Bergmann. Die GAL fordert die Erstellung eines Elektrosmog-Immissionskatasters für ganz Hamburg. Funktürme dürften nur auf Widerruf genehmigt, Hochspannungsleitungen, die über Wohngebieten, Kindergärten und Schulen verlaufen, sollten verlegt werden. Besonders wichtig für die GAL: Bevor Neuanlagen genehmigt werden, sollen die Nachbarn zumindest informiert werden. Marco Carini
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