piwik no script img

Schlußstrich? Nur mit Rechnung drüber

■ Marianne Birthler, Ex-Ministerin in Brandenburg, war in Bremen / Neue Vorsitzende Bündnis 90 — Grüne?

Sie sitzt kerzengerade und guckt ihrem Publikum direkt und interessiert ins Gesicht: freundlich, forschend, bestimmt. Sie spricht ziemlich frei und ohne Mikrofon. 70 Interessierte sind gekommen, am Freitagabend. Marianne Birthler, 44jähig, im Oktober wegen des politischen Umgangs mit Manfred Stolpes Stasi-Verwicklungen als Ministein in Brandenburg zurückgetreten, war zu Gast in Bremen. Sie war Katechetin, Oppositionelle DDR-Bürgerin, Mitglied am Runden Tisch, schließlich Ministerin für Jugend, Bildung und Sport in Brandenburg. Marianne Birthler ist im Gespräch als neue Bundesvorsitzende von Bündnis 90 / Grüne.

taz: Das Bremer Parlament will keine Stasi-Regelüberprüfung durchführen.

Marianne Birthler: Also, das müßt ihr selbst ausdiskutieren. Eine Regelüberprüfung kann Klarheit schaffen, wenn in einem Parlament Gerüchte wabern. Ich bin ja keine Überprüfungsfanatikerin. Ich hab' gesehen, bei 28.000 Lehrern: Manche kriegt man mit keiner Überprüfung, da weiß nur jeder: Das waren Schweine, aber nicht mal in der SED. Andere haben mal Kontakte gehabt, sind aber menschlich akzeptabel.

Sie haben davor gewarnt, sich umstandslos an den Meinungen der Mehrheit zu orientieren — für wen machen Sie Politik?

Unsere politischen Ansätze, das ist nicht das Denken der Allgemeinheit! Ich handele im Interesse vieler, aber die sehen das zumeist überhaupt nicht so. Ich rechne mit 10%, die sich in unseren Politikvorstellungen wiederfinden. Was drunter liegt, sind wir selbst schuld. Nach mehr zu schielen bedeutet, wichtige Inhalte aufzugeben.

Sie waren DDR-Opposition, aber Sie haben sich nicht als 'verfolgte Christin' profiliert.

Das hätte nicht gestimmt! Von Verfolgung zu reden, das mach ich nicht um derer willen, die in der Welt wirklich politisch verfolgt sind. Verfolgungen, das waren sehr wenige.

Viele wollen unter all das endlich einen Schlußstrich ziehen...

'Ne feine Sache, — wenn was über dem Strich steht: nämlich eine Rechnung. Vergebung setzt, wenn schon nicht Buße oder Reue, doch zumindest Klarheit voraus!

Nach dem Einigungsvertrag DDR-BRD kommt jetzt die Vereinigung zwischen Grünen und Bündnis 90.

Es gibt im Osten das Gefühl: wir sind die Dazugeommenen. Ich kämpfe für den Namen „Bündnis 90 / Grüne“: Durch den Namen käme Respekt zum Ausdruck.

Sie haben drei Töchter, Sie waren Ministerin — wie geht das?

Man muß es hübsch nacheinander machen! Westfrauen entscheiden sich oft zwischen Kindern oder Karriere. Wenn man zeitig anfängt, passen aber mehrere Leben in ein Leben.

Werden Sie neue Bundesvorsitzende von Bündnis 90 / Grüne?

Ich denke ungern darüber nach. Wenn sich das ausschließt, würde ich die parlamentarische Arbeit vorziehen. Ich nehme mir aber Zeit für diese Überlegung. Fragen: S.P.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen