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Wachschutzmänner als Sozialarbeiter

In der Turnhalle der Friedrich-List-Oberschule leben 34 bosnische Flüchtlinge/ Zwangsgemeinschaft und erzwungene Untätigkeit provozieren Depressionen und Streitigkeiten  ■ Von Anita Kugler

Schöneberg. Stundenlang steht der Mann hinter der Glastür. Mit leerem Blick und abgebrannter Zigarette zwischen den Fingern stiert er nach draußen, dorthin, wo Menschen eilen, die Apostel-Paulus-Straße entlang. Ihn treibt nichts und niemand, denn er ist einer der 11.000 Kriegsflüchtlinge, die in Berlin vorläufig Unterkunft gefunden haben. Seit vier Monaten lagern all seine Habseligkeiten unter einem Doppelstockbett in der Turnhalle der Friedrich-List- Oberschule. Er ist einer der 34 Ex- Jugoslawen, die in der im August zum Flüchtlingslager umfunktionierten Sporthalle zur Ruhe kommen sollen. Und Alija A. ist einer, der die anderen nicht zur Ruhe kommen läßt, denn der 42jährige Bosnier ist Alkoholiker und Epileptiker. Wenn er wieder einmal sein Taschengeld vom Sozialamt gegen Fusel eingetauscht hat, dann schreit er, windet sich am Boden, so lange, bis die Wache kommt und ihn in den „Ruheraum“ im zweiten Stock der Oberschule steckt. Ein „feiner, lieber Kerl“ sei Alija, „aber leider ein Pflegefall“.

„Wir haben noch mehrere Sorgenkinder bei uns“, sagt Jens Schilde, Leiter des rund um die Uhr besetzten Wachschutzes. Und wenn Musija Muratovic nicht ebenfalls in der Turnhalle leben würde, „würde es noch mehr drunter und drüber gehen“. Musija sei die „Mutter des Notlagers“, sagt Schilde. Immer wieder schlichte sie Streit, räume liegengebliebenes Geschirr weg, sammle Flaschen und wische die Halle auf. Aber in der Nacht weine sie, denn sie möchte weg aus der Turnhalle, in der sie seit Ende Oktober mit Mann und zwei Töchtern hausen muß.

„Irgendwie ist es ungerecht“, meint Wachschutzmann Mescut Özdes, „die, die Randale machen, werden in andere Unterkünfte umgesetzt, und die, die lieb und sauber sind, müssen hierbleiben“. Die Turnhalle sei kein guter Ort für Jugendliche, meint er, denn es gebe keine Intimsphäre. Damit die Ehepaare sich wenigstens ungestört von fremden Blicken lieben können, hat Mescut Özdes Laken vor die Doppelstockbetten gehängt.

Diskretion kann es hier trotzdem nicht geben. Die Betten stehen dicht an dicht, das ganze Leben spielt sich in einem Raum ab. Keiner hat was zu tun, das Essen wird von der Großküche geliefert, alle langweilen sich, es gibt kein Radio, keinen Fernseher, und damit keine Informationen aus der Heimat. Die Zwangsgemeinschaft und die Isolation provozieren Agressionen gegeneinander. Es habe auch schon Messerstechereien gegeben, erzählen die Wachleute, einer habe „nur aus Daffke einem anderen vorgeworfen, die eigene Frau umgebracht zu haben“. Um solchen Streit und mögliche Angriffe von außen zu verhindern, dafür seien sie schließlich da. Aber der Augenschein zeigt noch etwas anderes. Die unterbezahlten Wachschutzmänner betätigen sich als Sozialarbeiter, ein Novum in der Flüchtlingsszene. Als noch Kinder in der Turnhalle lebten, veranstalteten sie mit ihnen Basketballspiele und auf zusammengestellten Tischen Ping-Pong-Matches. Jetzt bringen sie ab und zu mal ein Fernsehgerät von zu Hause mit, vermitteln Kontakte zwischen Anwohnern und Flüchtlingen und haben inzwischen sogar ein paar Brocken Serbokroatisch gelernt. „Ich habe selber mal wochenlang in Notaufnahmelagern gelebt“, sagt DDR-Flüchtling Schilde, „ich weiß, wie es denen geht, nämlich beschissen.“

Der zuständige Schöneberger Sozialstadtrat Gerhard Lawrenz (CDU) beteuert, daß seine Behörde sich intensiv darum bemühe, Ausweichquartiere zu finden. Gespräche mit dem Bundesvermögensamt über alliierte Liegenschaften seien im Gang. Die Turnhalle sei auch ein sehr teures Provisorium. Die Kosten für Heizung, Putzfrau, Wachpersonal, Verpflegung und Taschengeld (106,90 Mark für jeden Erwachsenen und zwischen 9,20 und 91,60 Mark für Kinder und Jugendliche) betrage für die 34 Menschen insgesamt monatlich 70.000 Mark. „Ich habe nicht beliebig viel Geld in der Kasse“, sagt er, „und der Krieg wird noch lange dauern.“

Leute, „die Bambule veranstalten“, werden natürlich an andere Einrichtungen verwiesen, „aber auf keinen Fall in bessere“. Die sozialen Probleme in der Halle seien vor allem durch die Roma bedingt, „die bisher auf einem anderen zivilisatorischen Niveau gelebt haben“. Die karge Einrichtung hält er zur Befriedigung der Grundbedürfnisse „für ausreichend“.

Andere Menschen sind allerdings nicht dieser Meinung. Am Wochenende sammelten die „Mütter gegen Gewalt“ auf dem Winterfeldt-Markt 120 Mark für die Turnhallen-Flüchtlinge. Sie wollen ihnen jetzt ein Radio mit internationalen Frequenzen kaufen.

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