piwik no script img

Streichhölzer für die Brandstifter

Polizeiliche Kriminalstatistik als politisches Kampfmittel gegen Ausländer und Asylbewerber  ■ Von Otto Diederichs

Wenn das Bundeskriminalamt etwa um die Jahresmitte die Polizeiliche Kriminalstatistik des vergangenen Jahres vorlegt, wiederholt sich alljährlich mit absoluter Sicherheit der gleiche Vorgang: Mit erschröcklichen Zahlenspielen wird vorgeblich wissenschaftlich exakt nachgewiesen, daß die Kriminalität in der Bundesrepublik besorgniserregend weiterwächst und die bevorstehende Kapitulation von Polizei und Politik vor der Flut von Gewalt und Verbrechen prognostiziert. Unmittelbar im Anschluß an die Veröffentlichung rufen dann Minister, sicherheitspolitische Parteienvertreter und die Funktionäre der Polizeigewerkschaften unisono nach mehr Personal und neuen Befugnissen, um sich dieser Flut energisch entgegenstemmen zu können.

Da dieses Ritual unterdessen jedoch ebenso bekannt ist wie der zweifelhafte Aussagewert solcher Statistiken, reicht es zumeist zwar noch zu einer etwas größeren Meldung auf den Innenseiten der Tagespresse, danach jedoch gehen alle wieder zur Tagesordnung über — bis zum nächsten Mal! So war es zunächst auch, als Ende Mai mit den Zahlen für 1991 die erste gesamtdeutsche Kriminalstatistik vorgelegt wurde.

Damit hätte es eigentlich sein Bewenden haben können, doch diesmal legte das BKA noch einmal nach. Unter Berufung auf eine interne Situationsanalyse des Bundeskriminalamtes wußte die Welt am Sonntag, die gern für derartige Vorstöße genutzt wird, am 27. September zu vermelden, die Kriminalität in der Bundesrepublik werde im kommenden Jahr um ca. zehn Prozent ansteigen. Zu dieser Steigerung trügen – und damit erhielt die Nachricht ihre politische Brisanz – die in Deutschland lebenden Ausländer rund 33 Prozent bei. Asylbewerber wiederum stellten hierbei rund ein Drittel der ausländischen Straftäter. Damit der solchermaßen aus seiner Sonntagsruhe geschreckte Leser diese Zahlen auch richtig einordnet, wird ihm weiter mitgeteilt, daß der Anteil ausländischer MitbürgerInnen an der Gesamtbevölkerung lediglich acht Prozent betrage.

Um zu ermessen, daß es sich bei der Veröffentlichung solcher Zahlen nicht nur um eine unglaubliche Instinktlosigkeit der BKA-Verantwortlichen handelt, muß man sich klarmachen, daß das Jonglieren mit statistischen Zahlen auch polizeiintern stark umstritten ist. Seit rund zwei Jahrzehnten zieht sich der Streit um den tatsächlichen Aussagewert der Statistik bereits durch die polizeiliche Fachpresse, und erst unlängst hat der Konstanzer Professor Dr. Wolfgang Heinz erneut die Unzulänglichkeiten polizeilicher Kriminalstatistiken aufgearbeitet. Das BKA hielt diese Arbeit immerhin für so wertvoll, daß es sie 1990 als Band 5 seiner „Bibliographienreihe“ veröffentlichte.

Natürlich gibt es Kriminalität mit zum Teil steigenden Tendenzen, und ebenso selbstverständlich sind auch Ausländer daran beteiligt. Ebenso unzweifelhaft ist, daß eine statistische Erfassung und Beurteilung von Kriminalität – bei aller Unzulänglichkeit – als polizeiliches Orientierungs- und Planungsmittel seine Berechtigung haben kann. Bliebe es dabei, so wäre dazu kaum etwas zu sagen; man könnte sich getrost der Deutung des früheren Direktors des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes Hans-Werner Hamacher anschließen, der 1981 freimütig feststellte, „daß die Kriminalstatistik zwar verfälschte Aussagen macht, aber über Jahre hinaus eben unverändert falsche, so daß man zumindest einen Trend daraus ablesen kann“.

Problematisch wird es jedoch, wenn diese Statistiken, kaum daß ihre Erstellung abgeschlossen ist, schon zu einem Instrument politischer Interessen umfunktioniert werden. In dem hier zugrunde liegenden Fall heißt dies, daß mit aufgemotzten Zahlen suggeriert wird, die hier lebenden Ausländer begingen in überproportionalem Maße Straftaten. Daß dabei durch unklare Begrifflichkeiten und bewußtes Verschweigen zudem manipuliert wird, ist für den Leser nicht zu erkennen. So wird beispielsweise rund ein Fünftel der nichtdeutschen Tatverdächtigen eines Vergehens beschuldigt, das ein Deutscher selbst mit Vorsatz gar nicht begehen kann: der Verstoß gegen das Ausländer- oder Asylverfahrensgesetz. Als Straftat im Sinne des Asylverfahrensgesetzes gilt dabei schon das Verlassen des ausländerbehördlichen Zuständigkeitsbereiches. Besucht beispielsweise ein in Hamburg registrierter Asylbewerber einen im Rahmen der Quotenregelung nach Frankfurt/M. verschubten Verwandten oder Freund und gerät dabei in eine der nicht eben seltenen Rauschgiftrazzien am Frankfurter Hauptbahnhof, so ergibt dies in den Statistiken unter der Schlüsselzahl 7250 bereits eine neue Erfassung.

Desweiteren sind polizeiliche Schwerpunktprogramme bestens geeignet, bestimmte Deliktgruppen überproportional anschwellen zu lassen. Wenn etwa der Berliner Innensenator Dieter Heckelmann seine Landsleute vor deren eigener Dummheit dadurch zu bewahren sucht, daß er die polizeilichen Ressourcen ebenso geballt wie sinnlos gegen (zweifellos betrügerische) jugoslawische Hütchenspieler ins Feld schickt, so führt dies in der Kriminalstatistik unweigerlich zur kräftigen Steigerung des ausländischen Täteranteils im Deliktbereich Betrug (wobei über eine eventuell Verurteilung damit noch keine Aussage getroffen ist, da die polizeiliche Kriminalstatistik mit der staatsanwaltlichen Strafverfolgungsstatistik nicht kompatibel ist).

Gänzlich unbeachtet bleiben auch die sozialen Verhältnisse und sonstigen Rahmenbedingungen, unter denen sowohl Ausländer allgemein wie Asylbewerber im besonderen leben. So ist die Chance in einem sozial eher schwierigen Viertel, in denen Ausländer aufgrund der verschiedensten Regelungen meist zu leben gezwungen sind, selbst polizeilich auffällig oder gar kriminell zu werden, natürlich ungleich höher als in einem sozial stabilen Stadtteil. Vergleichbares gilt bei Asylbewerbern, die über große zeitliche Freiräume verfügen, diese meist ohne Arbeitserlaubnis und mit nur minimalen Finanzmitteln ausgestattet, selten sinnvoll und befriedigend ausfüllen können.

Berücksicht man weiterhin, daß die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung gegenüber ausländischen Tatverdächtigen ungleich höher ist als untereinander und innerhalb der Polizei gleichzeitig ein Trend herrscht, Taten von AusländerInnen (zumeist) qualitiv höher einzustufen als vergleichbare Taten deutscher Staatsbürger – worauf Kriminologen und andere Wissenschaftler immer wieder hinweisen –, wird die ganze Haltlosigkeit solcher Erhebungen für eine politische Auseinandersetzung deutlich.

Trotz dieser ungünstigen Ausgangssituation beträgt der Anteil zum Beispiel von Asylbewerbern an der Gewaltkriminalität lediglich 3,9 Prozent, während er bei Deutschen mit 7,1 Prozent fast doppelt soviel ausmacht.

In der gegenwärtigen politischen Situation, in der die Ablehnung ausländischer Mitbürger bereits Züge von Rassenhaß anzunehmen beginnt und Übergriffe auf Ausländer und das Niederbrennen von Asylunterkünften zum Alltag zu werden drohen, bewußt eine ungesicherte und unqualifizierte „Situationsanalyse“ zu lancieren, wie das Bundeskriminalamt dies getan hat, heißt in der Konsequenz, den Brandstiftern die Streichhölzer zu reichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen