: Plutoniumflüge über Europa
Plutonium-Brennelemente sollen über den Flughafen Rhein-Main nach Schottland geflogen werden/ Belgier haben das schon gemacht ■ Von K.-P. Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Das Höllenfeuer brannte fast drei Stunden lang mit einer Temperatur von 1.000 Grad Celsius – nach dem Absturz einer israelischen Transportmaschine auf einen Wohnblock in Amsterdam/Niederlande. Hätte das von Schipol aus gestartete Flugzeug sogenannte Typ-B-Behälter, gefüllt mit dem hochgiftigen Bombenstoff Plutonium, an Bord gehabt, wäre die Katastrophe von Amsterdam unter ungünstigen Umständen eine Menschheitskatastrophe geworden: Die Stadt würde auf zigtausend Jahre hinaus eine verseuchte Todeszone bleiben – und hunderttausende von Krebstoten wären über die akute Zahl der Opfer hinaus zu beklagen. Dieses Szenario jedenfalls entwarfen Experten in der vergangenen Woche auf einer Plutoniumkonferenz im Europaparlament in Straßburg, zu der die Grünen geladen hatten. Schließlich genügten bei Plutonium Mengen im Mikrogrammbereich, um bei Lebewesen, die sie aufnehmen, Krebs entstehen zu lassen. Und der Alpha-Strahler Plutonium verfüge über eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren. Das heißt, daß sich die Strahlungsintensität von Plutonium nach diesem unvorstellbaren Zeitraum gerade um die Hälfte verringert haben wird.
Wieder ein Horrorszenario der Apokalypseritter von den Grünen und von Greenpeace, die mit ihren Attacken gegen den japanischen Plutoniumfrachter im Kanal bereits für Schlagzeilen sorgten? Kein Mensch, so glaubte man noch vor Monatsfrist, könne so verrückt sein, diesen Höllenstoff mit dem Flugzeug transportieren zu wollen – bis die Pläne der deutschen Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft mbH (SKB) bekannt wurden: Die SKB will ihre insgesamt 123 Uran-Plutonium-Mischoxyd-Brennelemente (MOX) für den inzwischen gestorbenen Schnellen Brüter in Kalkar aus dem Plutonium-Bundesbunker in Hanau via Rhein-Main-Flughafen ins schottische Dounreay ausfliegen lassen – mit Transportmaschinen der Royal Airforce. Die MOX-Brennelemente (60 Prozent Uran, 40 Prozent Plutonium) sollen in Dounreay zwischengelagert und eventuell für den Einsatz in einem ausländischen Forschungsreaktor „heiß“ gemacht werden. Noch steht eine förmliche Zustimmung des Bundesamtes für Strahlenschutz zur Herausgabe der Brennelemente aus der staatlichen Bunkerverwahrung aus. Doch in einem der taz vorliegenden Schreiben des Bundesumweltministeriums an die zuständige Genehmigungsbehörde heißt es vor- und fürsorglich ganz im Sinne der RWE-Tochter SBK, daß die Beförderungsgenehmigung via Luftfracht „unter Berücksichtigung auch der sicherheitstechnischen Erfordernisse“ bereits grundsätzlich erteilt worden sei. Der auf das Grundgesetz eingeschworene Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hat keine Einwände gegen diese Lufttransporte von Plutonium von der dichtbesiedelten Rhein-Main-Region aus angemeldet. Das Plutonium, so läßt Töpfer mitteilen, sei in den Brennelementen in „fester, gesinterter Form“ in Hüllenrohren eingeschweißt und die Transportbehälter von Experten auf ihre Tauglichkeit für den Luftfrachtweg hin überprüft worden. Ein Lufttransport, so Töpfers Pressesprecher Franz-August Emde, sei deshalb „völlig ungefährlich“.
Bei den Transportbehältern handelt es sich um sogenannte Typ-B-Behälter, die in der Tat von Experten getestet worden waren – mit einem Falltest aus acht Metern Höhe und einem halbstündigen Hitzetest (800 Grad Celsius). Acht Meter Fallhöhe für ein Transportflugzeug? Das sei, so Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt sarkastisch, selbst für einen Tiefflieger der Nato eine unrealistische Flughöhe. Und spätestens seit dem Crash von Amsterdam wisse man, daß Kerosinbrände länger als eine halbe Stunde dauerten und durchaus 1.000 Grad Celsius heiß werden können.
Auch der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) hat „schwerste Sicherheitsbedenken“ geäußert. Fischer glaubt zudem eine Handhabe gegen die Flugtransporte zu haben. Die im Hanauer Bunker lagernden MOX- Brennelemente für den Schnellen Brüter sind nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach äußerlich radioaktiv kontaminiert. Bei einem Unfall im Bunker am 17.Juni 1991 war durch eine aufgerissene Sicherheitsfolie Plutonium aus einem Transportbehälter in den Bunkerraum gelangt. Nach Auffassung von Fischer müßten die Brennelemente im Bunker deshalb vor einem eventuellen Tranport dekontaminiert werden – und zwar in einem Gebäude der Firma Siemens Brennelementewerke Hanau. Doch für diese Dekontamination hat Siemens keine Genehmigung. Fischers Konklusion: Keine Genehmigung, keine Dekontamination – kein Lufttransport.
Im Bundesumweltministerium tröstet man sich, es sei ja noch fraglich, ob die MOX-Brennelemente überhaupt kontaminiert seien. Möglicherweise reiche es auch aus, eventuell verseuchte Schutzfolien um die Elemente abzuziehen und durch neue zu ersetzen.
Was deutsche Umweltschützer bislang nicht wußten: Die SBK hat ihre in Dessel/Belgien lagernden 77 Brennelemente für den Schnellen Brüter in Kalkar – insgesamt waren 200 MOX-Elemente für den nie in Betrieb gegangenen Brüter gebaut worden – längst auch per Luftfracht ins schottische Dounreay schaffen lassen – wahrscheinlich über Frankreich und mit Flugzeugen der Firma TNT. Dem Bundesumweltministerium war diese Information „auch schon zu Ohren gekommen“. Man sei aber nicht zuständig für diesen Transport, so Sprecher Emde gestern.
Zuguter Letzt könnten sich die gefährlichen Plutoniumflüge auch noch als völlig unnützer Akt erweisen. Zwar hat die SBK rund 1,2 Millionen DM in Dounreay in den Umbau eines Gebäudes investiert, damit die MOX-Brennelemente dort zwischengelagert werden können. Der Schnelle-Brüter-Forschungsreaktor in Dounreay, dem die Brennstäbe aus Dessel und Hanau eigentlich zugeführt werden sollten, steht aber genehmigungstechnisch auf wackligen Beinen. Der Reaktor soll 1994 stillgelegt werden. Und die britische Regierung ist deshalb gar nicht bereit, die insgesamt 200 deutschen Brennstäbe (77 aus Dessel und 123 aus Hanau) auch zu kaufen. Findet sich kein anderer Kunde für die Brennelemente, muß die SBK das Lager in Dounreay schon 1996 wieder räumen. Für diesen wahrscheinlichen Fall droht der Rücktransport: Die SBK untersucht heute bereits Lagermöglichkeiten in Deutschland (Gorleben) oder in Frankreich.
Unabhängig von diesem Hin und Her: So klammheimlich wie in Belgien werde die SBK ihre Brennelemente aus dem Hanauer Bundesbunker jedenfalls nicht über den Rhein-Main-Flughafen nach Schottland ausfliegen lassen können, drohten Mitglieder der Hanauer Initiative Umweltschutz (HIU) und des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) schon auf der Plutonium- Konferenz in Straßburg.
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