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"Woher will man wissen, daß das Kunst ist?"

■ Kinder im Museum: Das Problem wird auf den Punkt gebracht / Arbeit mit Schulklassen gehört zum festen Programm der Museumspädagogen

: Das Problem wird auf den Punkt gebracht / Arbeit mit Schulklassen gehört zum festen Programm der Museumspädagogen

„Wie in einer Schatzkammer“ müsse es hier zugehen, erklärt Rainer Müller, Mitarbeiter des Museumspädagogischen Dienstes in der Kunsthalle. Also: Keine Bilder anfassen und nicht rennen. Die 25 Zweitkläßler aus Farmsen stehen mit ihrer Lehrerin in der marmorgefliesten Eingangsrotunde des Museums und sind ziemlich beeindruckt. Los geht's, die Treppe hinauf — und weit zurück in Kunst und Zeit, zu den „Bildern mit Jesusgeschichten“ aus dem 16. Jahrhundert.

Eine weihnachtliche Darstellung ist schnell erkannt: „weil die beten“. Schwieriger wird es schon bei einer Kreuzigungsszene, immerhin sind da „Leute aufgehängt“, Nikolaus scheidet deshalb schnell aus. Aber das hohe kirchliche Fest, um das es dort geht, das kennt ihr bestimmt, versichert der Museumspädagoge. Was bleibt da noch, na klar: „Silvester!“ Gütiger Gott. Jetzt mal raten, wie alt das Bild ist. „Hundert Jahre?“ Nein, älter. „Zweitausend?“ Die Wahrheit liegt wie immer dazwischen. Bewunderndes Nicken: „Der kann aber gut malen.“

Rund sechs solcher sogenannter „Museumsgespräche“ mit Schulklassen werden jeden Vormittag in der Woche von Thomas Sello, Leiter der Abteilung Museumspädagogik in der Kunsthalle, und den 25 freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorbereitet und begleitet. Für Hamburger Schulen ist dieses Angebot kostenlos. Die 30000 Mark Honoraretat fließen aus der Kulturbehörde, denn dieser, nicht der Museumsdirektion, ist die Abteilung unterstellt.

1Die Mitarbeiter sind studierte Kunsthistoriker, Pädagogen oder — wie Rainer Müller — bildende Künstler. Das Programm für die einzelnen Gruppen ist ihrer methodischen Fantasie überlassen. Mal unternimmt man eine „Zeitreise“ durch die Jahrhunderte, veranschaulicht unterschiedliche Genres der Malerei, lädt ein zum „Malen nach Musik“ oder aber man improvisiert ganz einfach. Höhepunkt und Abschluß der Museumsgespräche mit Kindern ist dann die „Praxis“ vor Ort.

Nachdem die sieben- und achtjährigen Grundschüler aus Farmsen in der Abteilung Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts gelernt haben, was ein Stilleben ist („da sind keine Menschen drauf, die reden“), geht es, ausgestattet mit Pappunterlagen und Papier, Wachs- und Ölkreiden, selbst ans Malen. Rainer Müller stellt den Kindern zwei alternative Aufgaben. Entweder ein Früchte-Stilleben, wie sie es auf den Bildern gesehen haben, oder aber: Früchte von anderen Planeten, zum Beispiel „Marsbirnen“ und „Jupiterkirschen“, die noch kein anderer Mensch je gesehen hat, eckig, mit gezackten Stilen und spiralförmigen Auswüchsen.

Malerisch im Museumsgang verteilt lassen Stefan, Franziska und Berte auf ihren Bögen eine mehr oder minder naturgetreue bunte Obstpracht mit Kiwis, Ananas und Trauben erstehen, während David galaktische außerirdische Früchteträume ersinnt. Nach einer Gesamtschau der eigenen Kunstwerke endet die Visite in dieser Schatzkammer der besonderen Art.

Das wichtigste Ziel dieser Mini-

1Rundgänge sei, „Hemmschwellen vor dem Museumsbesuch abzubauen“, sagt Rainer Müller. Deshalb seien die Museumsgespräche auch weniger für Gymnasialklassen konzipiert, die in den Genuß „interner“ Kunsterziehung kommen. Gedacht sei dieses Angebot vielmehr für benachteiligte Schüler aus Billstedt und St. Georg. So wie die Gruppe aus der Heinrich-Wolgast- Schule, die anderntags zu Besuch in der Kunsthalle ist.

Hier kommen die „Bilder mit Jesusgeschichten“ nicht so gut an: Etwa ein Drittel der elf- bis zwölfjährigen ist moslemischen Glaubens und reagiert aufgebracht auf die Christus-Darstellungen, die ihre Religion verbietet. Mit dem Bild „Masken“ des belgischen Symbolisten James Ensor hat Fahried dann aus anderen Gründen zunächst Probleme. Erstens ist das Bild mit den komisch grellen Farben „häßlich“, kein Wunder also, daß die Masken den Maler auslachen, und zweitens, endlich, die Gretchenfrage: „Woher will man wissen, daß das Kunst ist?“

Kunst habe auch viel mit dem Mut zu tun, mit dem ein Künstler Ideen umsetzte, die neu seien, und

1weshalb er dann erst einmal gar nicht verstanden würde, erklärt Müller. Das überzeugt Fahried schließlich ebenso wie ihn die Antwort auf die Frage befriedigt, ob man „Kunst nur mit solchen Farben“ wie James Ensor machen kann.

Von hierher ist es auch inhaltlich nur ein kleiner Schritt zu den Expressionisten nebenan. Dort sind die Gesichter auf den Bildern grün und rot, sehr mutig also, und die Elfjährigen schließlich schon halbe Profis in der Betrachtung. Und in der Ausführung sowieso, denn wo kann man seinem Mitschüler schon mal ungestraft und noch dazu virtuos ein grünes Gesicht mit roten Pickeln malen. Eben nur in der Kunsthalle.

Doch die Museumsgespräche für Kinder — und Erwachsene — sind bei weitem nicht das einzige Programm der Museumspädagogik. „Ein Viertel aller Kunsthallenbesucher“, so Thomas Sello, „geht durch unsere Mangel.“ Kein Wunder also, daß die sogenannte „Malschule“ im Keller des Gebäudes mit ihren zweieinhalb Räumen „aus allen Nähten platzt“. 40 Mal-, Zeichen- und Radierkurse werden der-

1zeit pro Semester dort angeboten. Die Semestergebühr beträgt 15 Mark plus Materialkosten. Genutzt werden die Kurse jeweils zur Hälfte von Erwachsenen und Kindern beziehungsweise Jugendlichen. Die Nachfrage steigt, und deshalb werden für 1993 fünf zusätzliche Kurse eingerichtet.

Darüber hinaus finden an zwei Vormittagen spezielle Museumsgespräche für Behindertenschulen statt, ein Programm gemeinsam für Behinderte und Nichtbehinderte ist in Planung. Noch im Dezember ist außerdem ein Projekt zur Ausländerproblematik vorgesehen, in Vorbereitung ist eine Ausstellung über das jahrhundertealte Thema „Flucht und Asyl in der Kunst“.

Die didaktischen Ausstellungen sind wichtiger Bestandteil der Arbeit und haben stets Bezug zur Sammlung des Museums. Obskure Hilfsmittel der Maler ist die aktuelle Präsentation überschrieben, die Thomas Sello und Rainer Müller gemeinsam konzipiert haben. Allerlei authentisches und nachempfundenes Gerät sowie jede Menge Bildmaterial veranschaulichen in einem Gang der Kunsthalle, wie sich Künstler seit dem Mittelalter des

1Zirkels und des Lineals, aber auch der Camera obscura und ähnlicher Kuriositäten mehr bedienten.

„Durch Machen verstehen, im Sinne von liebgewinnen“, sagt Sello, sei das Grundprinzip der Museumspädagogik, ganz in der Tradition des einstigen Kunsthallendirektors und pädagogischen Reformers Alfred Lichtwark und seiner „Schule des Kunstgenießens“. Er selbst wolle mit seiner Arbeit auch ein Gegengewicht schaffen zur „bundesweit aktuellen Tendenz zum neuen Museumstempel, zur aufgeblasenen Aura“, ja gar zum „kinderfeindlichen Museum“.

Genau dort hat die Museumspädagogik eben auch ihren Platz, ihren Sinn und ihre Legitimation. Die macht auch Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede den Lichtwark-Jüngern nicht streitig. Auch wenn es zwangsläufig um divergierende Interessen und Auffassungen ginge, „die Aufgabe Vermittlung ist gleichrangig“. Und wohl auch im Sinne dieser Gleichrangigkeit bekommt die Museumspädagogik im Erweiterungsbau der Kunsthalle einen neuen Raum im Erdgeschoß — mit Blick auf die Alster. Mechthild Bausch

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