piwik no script img

„Ich war schon damals gegen die Nazis“

In Mölln demonstrieren Zehntausende gegen Rassismus/ Autonome verhindern größere Krawalle zwischen türkischen Nationalisten und linksorientierten Türken und Kurden  ■ Aus Mölln Bascha Mika

„Weißt du“, sagt ein türkischer Jugendlicher und faßt den Jungen, der neben ihm läuft, am Arm, „das heißt nicht: ,Wo die Internationale ...‘, sondern ,Hoch die Internationale Solidarität‘.“ Der so Aufgeklärte nickt eifrig, dann reihen sich die beiden Dreizehnjährigen wieder in den Chor der DemonstrantInnen ein und skandieren: „Hoch die Internationale ...“.

In Mölln protestieren mehr als zehntausend Menschen gegen Rassismus und Gewalt. An diesem Samstag, an dem die Opfer der Brandanschläge in ihrem türkischen Heimatort beigesetzt werden, wird in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt ein besseres Deutschland gefordert.

Ein kleingeschrumpfter Alter, die Schiffermütze fest auf den Kopf gedrückt, läuft, auf seinen Stock gestützt, allein neben einem schwarzen Block. „Nazis raus!“ rufen die Autonomen. Der Opa aus Mölln guckt ganz erschreckt. „Ich dachte, das wäre ein Schweigemarsch“, brummt er irritiert und erzählt, daß er schon in den 20er Jahren gegen die Nazis demonstriert habe und deshalb auch jetzt auf der Straße sei. Aufgerufen zu der Protestveranstaltung hatten die nordischen Grünen, amnesty international, verschiedene türkische Organisationen und deutsche und türkische Antifa-Gruppen.

Fast die Hälfte im Zug sind AusländerInnen, vor allem aus der Türkei. Männer jeden Alters, sehr wenige Frauen, ein paar Mädchen. Es geht nur über breite Straßen; die Gassen der Altstadt waren den Veranstaltern zu schmal, der Polizei zu unübersichtlich. „Sie werden von überall kommen und randalieren“, machten sich die Möllner bereits Tage vor der Großveranstaltung Angst. Sie sahen ihr hübsches Städtchen schon als Kampfplatz für rechte und linke Chaoten, und Bürgermeister Joachim Dorfler verstärkte die Panik: „Wir wollen nicht zum Wallfahrtsort von Radikalen jeder Schattierung werden“, verkündete er und blieb — wie viele deutsche Möllner — der Demo fern.

Noch einer fehlt, und das führt zur ersten Auseinandersetzung. Zu Beginn der Kundgebung sollte ursprünglich ein Hoca, ein türkischer Priester, sprechen. Doch nach Unstimmigkeiten bei den Veranstaltern, die diese nicht näher erläutern wollen, kommen auf dem Lautsprecherwagen nur andere Redner zu Wort. Neben den türkischen auch ein kurdischer. Da schreien die ersten wütenden Stimmen, die ersten Fäuste fliegen in die Luft. Sofort versuchen türkische Ordner zu schlichten.

Die Menge setzt sich in Bewegung. Diejenigen MöllnerInnen, die nicht auf der Straße sind, stehen am Rand oder an den Fenstern und gucken zu. „Nee“, meint ein Berufsschullehrer, dessen SchülerInnen die ersten waren, die mit Protestkundgebungen auf das Attentat reagiert hatten, „das ist ja jetzt eine politische Demonstration. Vor diesen Karren will ich mich nicht spannen lassen.“

Ein Männerblock singt die türkische Nationalhymne, ruft „Türkiye, Türkiye“ und schwenkt die Fahne mit dem Halbmond. Mittendrin ein paar türkische Jungmänner in Bomberjacken und schwarzen Baretts, mit Schlagstöcken und Tschakos in den Händen. „Graue Wölfe sind das, türkische Jungfaschisten“, behaupten Vertreter linksdemokratischer türkischer Organisationen und Kurden.

Diese laufen direkt vor den Nationalisten her. Die rote Fahne mit Hammer und Sichel entrollt sich im Wind. Und dann dauert es nicht lange, bis die beiden Blöcke aneinandergeraten. Erst wird die türkische Fahne zu Boden gerissen, dann dreschen die ersten mit Transparentstangen auf Köpfe ein, Steine fliegen. Die Polizei bleibt ruhig. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei. Autonome aus Hamburg haben Ketten gebildet und die rivalisierenden Gruppen getrennt. Trotzdem gibt es zwei Verletzte: auf der einen Seite eine Türkin mit zerschlagenem Gesicht, auf der anderen Seite ihr Landsmann mit Wunden am Kopf und am Auge. „Wir wollen nicht mit Faschisten demonstrieren“, hört man von den Linken. „Dies ist eine Demonstration gegen Rassismus in der ganzen Welt. Auch gegen den in der Türkei!“

„Diese PKK-Terroristen und Kommunisten“, meutern die Rechten. „Wir können doch nicht gegen uns selbst demonstrieren.“ Und ein Fahnenschwenker ergänzt: „Wir sind hier für die Opfer, wir sind die reinrassigen Türken.“ Doch die meisten DemonstrantInnen verfluchen beide Gruppen. „So eine Idiotie“, regen sie sich auf, „die machen alles kaputt.“

Tausende laufen ruhig weiter. Doch ein paar hundert wollen noch einmal Randale. Wieder gibt es vier Verletzte, und wieder sind es die Autonomen, die schnell reagieren. Sie stellen sich zwischen die aufgebrachten Gruppen, halten sie auseinander. Dann kommt auch die Polizei und trennt die Blöcke durch ein Doppelspalier. Möllner Türken stehen plötzlich auf unterschiedlichen Seiten.

Die rund 100 Nationalisten, die sich die Türkenflagge um die Schultern gehängt haben, werden zur einen Seite des Platzes abgedrängt. Der Demonstrationszug läuft weiter zur Kundgebung. Am Ende bekommen die Autonomen ein ungewöhnliches Kompliment, noch dazu von der „falschen“ Seite: „Die kennen wir sonst nur als Krawallmacher“, sagen Polizisten, „aber heute haben die uns wirklich geholfen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen