: Dioxin im Fernsehspiel
■ Königstein/Schnibben: „Hamburger Gift“, ARD, 20.15 Uhr
„Heute morgen ist wieder so einer von denen, die ich ,Kotzmorgen‘ nenne. Das ist nicht so, wie wenn du vorher die Nacht durchgesoffen hast. Ein endloses, würgendes Kotzen ist das.“ Michael L. rutscht aus dem Rollstuhl, schwitzt, rülpst. In den sechziger Jahren hatte sich der New Yorker Student der Wirtschaftswissenschaften freiwillig für den Vietnam-Krieg gemeldet. Heute leidet er an Lymphdrüsenkrebs.
In einem Krankenhaus in Saigon sitzt Co Thi Ren auf dem Bettrand und streicht sich über den Bauch. Die 36jährige Vietnamesin, die sich im vierten Monat schwanger glaubt, beantwortet so die Frage nach ihren Schmerzen. „Nein, der Arzt hat mir noch nicht gesagt, was mir fehlt.“ Sie muß verstehen lernen, daß in ihr kein Baby wächst, sondern ein Tumor: Gebärmutterkrebs.
„Welchen Körperteil wirst du mir als nächstes zerfressen, frage ich ,es‘ in mir. Manchmal rede ich mit dem ,es‘. Den Hals, sagt ,es‘, und lacht. Halsschmerzen? Du denkst, das ist eine Erkältung, und ,es‘ lacht noch mehr...“, sagt der Chemiearbeiter G. in Hamburg- Billstedt, wendet sich mit einer hilflosen Geste ab und murmelt: „Kehlkopfkrebs, Anfangsstadium...“
Diese drei Menschen verbindet ein gemeinsames Schicksal: Sie wurden Opfer des Herbizids T- Säure, vielmehr des darin enthaltenen Kontaktgifts TCDD, seit der Seveso-Katastrophe weltweit bekannt als „Dioxin“. Das Gift der Gifte, 6.700 mal tödlicher als Zyankali, dennoch ungeniert produziert, sorglos auf Müllhalden gekippt und als besonders effektive C-Waffe „Agent Orange“ von den USA zehn Jahre lang in riesigen Mengen über Vietnam ausgeschüttet.
„Der größte Chemie-Versuch am Menschen“
Der schleichende, vielgesichtige Tod, der heute noch zahllose Opfer findet, ist ein Meister aus Deutschland. Seine grausame Spur, die vom Boehringer-Werk in Hamburg-Moorfleet rund um den Globus führt, hat der NDR-Regisseur Horst Königstein, der sich mit seinen Dokumentationen bereits einen Namen machte, nach einer Vorlage des Spiegel-Autors Cordt Schnibben nachgezeichnet. Ihr Film „Hamburger Gift“, den die ARD jetzt zur besten Sendezeit ausstrahlt, rekonstruiere, so die Autoren, „den größten bekannten Chemie-Versuch an Menschen“. „Was gesagt wird, ist Pentagonakten, Firmenunterlagen oder Zeugenprotokollen entnommen. Wie es gesagt wird, ist gelegentlich frei erfunden.“
Diese „dramtische Rekonstruktion“ erweist sich als verdienstvolles Unterfangen. Zum einen gelingt es Königstein und Schnibben, ein weltumspannendes Komplott aufzudecken. Von den Anfängen, als ein Hamburger Arzt und Chemiker 1954 eine „Verunreinigung“ der T-Säure als Auslöser der unter Boehringer-Arbeitern stark verbreiteten, oftmals tödlichen Chlorakne identifizierte und damit das hochtoxische Dioxin „entdeckte“, bis heute, wo sich Regierungen und Chemie-Giganten gegenseitig die Verantwortung für die Opfer zuschieben. Resultat: ein Dokument der Menschenverachtung von Chemie-Industriellen, Militärs und Politikern, inklusive Präsidenten, von John F. Kennedy bis Richard von Weizsäcker.
Zum anderen glückte Königstein mit der Idee, die Firmenunterlagen, Pentagonakten, Zeugenprotokolle und Selbstzeugnisse in ein reportageartiges Rollenspiel zu übersetzen, ein ungewöhnliches Non-Fiction-Stück von großer Glaubwürdigkeit. Besonders überzeugend ist das Leben mit dem Tod dargestellt von Josef Bierbichler und Christa Berndl als Chemiearbeiter G. und dessen Frau. Al Corley und Rita Tushingham sind als Vietnam-Veteran Michael L. und dessen Schwester Ruth zu sehen. Vietnamesische Laiendarsteller hat Königstein unter ehemaligen „boat people“ gefunden. „Weil es um Sterbende und Kranke geht“, erklärt der Regisseur, „glaube ich, daß die Konfrontation mit Leiden eine Brechung braucht, auch über den Umweg der Ehefrauen und Angehörigen, die das alles mit aushalten müssen.“ Wenn das „Drama über Kalkül und Schweigen, Leichtsinn und Verbrechen, über Chemiker, Politiker, Generäle und Manager“ (NDR-Pressetext) in den Labors, Büros und Konferenzsälen vorangetrieben wird, wirkt einzig der Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft von 1984 etwas gestellt. Auch hier geht's einmal nicht ohne Brechung: Königstein läßt den Darsteller des Boehringer-Personalchefs von Weizsäcker aus der Rolle fallen. Der Schauspieler Christoph Bantzer muß – wie beim Rollenstudium – die Stellungnahme vom Büro des Bundespräsidenten lesen. Inhalt: Als Boehringer-Personalvorstand von 1962 bis 1966 habe von Weizsäcker von nichts gewußt. Seit er davon erfahren habe, sei er aber „sehr betroffen“. Während Weizsäckers Jahren bei Boehringer mußten die Arbeiter dort mit Hochdruck das vom Pentagon bestellte „Agent Orange“ produzieren. Ulla Küspert
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