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„Wir sehen den Rechtsfrieden in Gefahr“

■ Interview mit Gisela Böhrk, Frauenministerin von Schleswig-Holstein

In knapp einer Woche wird das Bundesverfassungsgericht über die neue Fristenregelung verhandeln. Quasi im letzten Moment protestierten am Dienstag 26 Frauen aus Politik und Gesellschaft in einem offenen Brief gegen die Zusammensetzung des Gerichts. Die Richter Böckenförde und Winter werden darin aufgefordert, wegen Befangenheit ihr Entscheidungsrecht im Fall des Paragraph 218 nicht wahrzunehmen. Vorgeworfen wird Böckenförde die langjährige Mitgliedschaft in einer juristischen Lebensschützergemeinschaft. Die Gutachterbestellung von zwei bekannten Lebensschützern verantwortet Winter. Die schleswig-holsteinische Frauenministerin Gisela Böhrk ist Initiatorin und Erstunterzeichnerin des Protestschreibens.

taz: Was hat Sie zu diesem offenen Brief bewogen?

Gisela Böhrk: Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz ist mit einer parteiübergreifenden Mehrheit in Bonn beschlossen worden. Die Stimme eines einzelnen Richters kann dieses Gesetz bestätigen oder zu Fall bringen. Gerade deshalb ist es erforderlich, daß es nicht den leisesten Zweifel geben darf, daß jeder einzelne Richter vorurteilsfrei entscheidet.

Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Wir haben uns dafür entschieden, weil es uns darauf ankommt, die Öffentlichkeit auf dieses Verfahren aufmerksam zu machen. Uns kam es auch darauf an, klarzumachen, daß insbesondere die Frauen in den neuen Ländern, wenn sie den Eindruck haben, daß hier nicht einwandfrei gehandelt wird, eine große Skepsis in das rechtstaatliche System bekommen werden. Das wird für das Bundesverfassungsgericht und die rechtstaatlichen Institutionen insgesamt schädlich sein.

Haben Sie schon erste Reaktionen auf den Brief?

Viele Fauen und Männern unterstützen diese Aktion. Sie sind sehr erschrocken über das, was sie über dieses Verfahren erfahren. Ich gehe davon aus, daß es in den nächsten Tagen spontane Solidarisierungen geben wird. Und ich hoffe dringlich, daß dieser Appell von den angesprochenen Herren gehört wird und das Gericht die entsprechenden Konsequenzen zieht.

Sollte das nicht der Fall sein, haben Sie sich andere Maßnahmen überlegt?

Die Möglichkeiten, auf so ein Verfahren aufmerksam zu machen, sind gering. Schon der offene Brief außergewöhnlich. Wir haben uns aber zu diesem Schritt veranlaßt gesehen, weil wir den Rechtsfrieden in Gefahr sehen.

Planen Sie eine Fortsetzung des Briefes?

Wir gehen davon aus, daß dies eine Initiative ist, der sich noch viele Frauen und Männer anschließen werden. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern.

Wie sehen Sie die Chancen?

Das ist sehr schwer einzuschätzen, der Sprecher aus Karlsruhe hat ja schon deutlich gemacht, daß die Antragsgegner formell kein Recht haben, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Dies steht nur den Klägern zu, in diesem Falle CDU und CSU, und die haben, wie Sie sich vorstellen können, kein Interesse daran. Wenn das Gericht nicht von sich aus die Konsequenzen zieht, dann wird auch ein Befangenheitsantrag an dieser Haltung nichts ändern. Unabhängig davon, ob er gestellt wird oder nicht. Interview: Tanja Stidinger

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