Debatte um das große Loch

■ Im Abgeordnetenhaus begann gestern die zweite Lesung des Haushalts 1993/ Zu Beginn eine müde Generaldebatte

Berlin. Wäre es nach der FDP- Fraktion im Abgeordnetenhaus gegangen, hätte der zweitägige Beratungsmarathon des Parlaments erst gar nicht stattgefunden. Am Anfang der gestrigen Plenardebatte über den Haushaltsplan 1993 stellte sie den Antrag, den Entwurf an den Hauptausschuß zurückzuüberweisen, da er wegen pauschaler Mindereinnahmen von 2,5 Prozent (rund einer Milliarde Mark) verfassungsrechtlich „außerordentlich bedenklich“ sei. Zwar stimmten die anderen beiden Oppositionsparteien PDS und Bündnis 90/Grüne für den Antrag, gegen die Koalitionsfraktionen aber hatte er keine Chance – die Generaldebatte konnte beginnen.

Mit dürren Worten charakterisierte der Vorsitzende des Hauptausschusses, Klaus Franke, eingangs die Finanzlage der Stadt. Sie sei nach wie vor mehr als angespannt, und die Sparzwänge würden in den nächsten Jahren mit Sicherheit noch erheblich größer werden. Unter Sparzwang stand auch die mehr als sechsstündige Generaldebatte, in der die RednerInnen aller Fraktionen wenig Neues zu bieten wußten. Als als erste Rednerin die PDS-Vorsitzende Gesine Lötzsch das Wort ergriff, leerte sich der Saal schlagartig wie auch schon bei den Sitzungen der vergangenen Wochen. Es werde immer deutlicher, daß sich Berlin finanziell übernehme, weil es in „einer Art Größenwahn prosperierende Hauptstadt, europäische Metropole und Olympiastadt“ werden wolle, sagte Frau Lötzsch.

Auch Arnold Krause, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, übte Kritik am Senat und der Politik der Großen Koalition. Die Entwicklung Berlins werde durch die Koalition um Jahre zurückgeworfen, weder gebe es ein Wirtschaftskonzept, noch sei es gelungen, Vorsorge für wegfallende ABM-Stellen zu treffen. „Herr Diepgen hat uns verschaukelt und getäuscht, als er uns in seiner Regierungserklärung vom 7. Februar 1991 den Abbau der Arbeitslosigkeit versprach“, beklagte der Abgeordnete. Er warf dem Senat kleinkariertes, konzeptionsloses Gezänk und dem Regierungschef Eberhard Diepgen Führungsschwäche vor.

In die gleiche Kerbe hieb FDP- Chefin Carola von Braun. „Der Senat hat es nicht vermocht, in Ost und West, über alle existentiellen Probleme hinweg, das Bewußtsein und das Engagement für die großen zukünftigen Aufgaben dieser Stadt zu wecken.“ Was bei der Vollendung der Einheit fehle, sei die politische Führung, sowohl seitens des Regierenden Bürgermeisters als auch seitens seiner Senatoren.

Die Redner der Regierungskoalition dagegen priesen den Haushaltsentwurf als solide. „Berlin hat eisern gespart“, erklärte CDU- Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky, und es sei gelungen, trotz des großen Drucks einen Etat vorzulegen, der für alle anderen Bundesländer als vorbildlich gelten könne. Berlin befinde sich in einer Zwischenzeit – weder in der Halbzeit noch in der Endzeit, und solche Übergangsphasen produzierten Ängste und Unsicherheiten. Als wichtigstes Ziel beschrieb er die Vollendung der Einheit: „Der Aufbau Ostberlins muß vor dem Ausbau Westberlins gehen.“ Wie sein Koalitionspartner Ditmar Staffelt forderte er die schnellstmögliche Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West, und zwar auf Westniveau. Am Schluß seiner Rede wurde Landowsky philosophisch: Die alte, überholte Rechts-Links-Diskussion müsse einem neuen Konsens des politischen Kompromisses weichen – nicht ohne vorher erneut die Radikalisierung der Ränder gegeißelt zu haben.

Ditmar Staffelt konterte prompt: Es sei schwierig zu entscheiden, wo denn diese politische Mitte liege, solange die CDU Mitglieder wie Heinrich Lummer dulde. Er kritisierte die Berliner CDU auch für ihre Haltung in Bonn, die bei den Finanzverhandlungen durch „Leisetreterei und Unterwürfigkeit“ zu nichts geführt habe, und übte scharfe Kritik an der Bundesregierung, deren Finanzpolitik nicht verläßlich und berechenbar sei und Berlin zum „Sparschwein der Nation“ mache. Die SPD sehe ihre Hauptaufgabe weiterhin darin, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Trotz der schwierigen Haushaltslage habe die Stadt aber eine „gute Perspektive“.

Der Regierende ließ in seiner Rede jedoch keinen Zweifel daran, daß die schweren Jahre Berlins erst noch kommen. Die Haushalte von 1994 bis 1996 müßten „in der Tendenz Nullhaushalte“ werden, weitere drastische Sparmaßnahmen seien notwendig, warnte Diepgen. „Der Haushaltsentwurf ist Spiegel der Realität und zeigt ungeschminkt, was wir uns leisten können und was nicht.“ Ziel sei es, die Einheit der Stadt zu vollenden und dabei eine „wirtschaftlich starke, kulturell vielfältige und tolerante Metropole zu schaffen“. Kordula Doerfler