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„Wer hier geboren wird, ist Staatsbürger“

■ taz-Interview mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis

taz: Herr Bubis, Sie plädieren für eine Reform des Artikels 116, der das Staatsbürgerschaftsrecht regelt.

Ignatz Bubis: Ja, ich bin für eine Ergänzung. Der Artikel 116 legt der Staatsbürgerschaft die Blutsbande, das Volkstum zugrunde. Ansonsten gibt es nur die Möglichkeit der Einbürgerung, die allerdings eher ein Gnadenakt ist. Ähnlich wie in Amerika oder in Frankreich sollte man es so machen, daß es auch eine Staatsbürgerschaft durch Geburt gibt: Wer hier geboren wird, ist Staatsbürger.

Versprechen Sie sich von dieser Änderung Wirkung auf die gegenwärtige Situation?

Gäbe es die Staatsbürgerschaft für die hier Geborenen, hätten wir eine oder anderthalb Millionen weniger Bürger hier, die als Ausländer mit eingeschränkten Rechten leben.

Die Schwierigkeiten, die bei einer Einbürgerung gemacht werden, sind ja enorm. Das habe ich gerade bei jemandem erlebt, der seit vierzig Jahren hier lebt und die Staatsbürgerschaft immer noch nicht hat. Es gibt eine Unzahl solcher Fälle.

Sie haben schon vor zwei Wochen, nämlich auf dem SPD-Bundesparteitag in Bonn, an die Parteien appelliert, den Artikel 116 in diesen Sinne zu verändern. Welche Reaktionen gab es?

Ich habe eigentlich nur positive Reaktionen gehört. Mit wem immer ich gesprochen habe, es hieß: Das wäre eigentlich vernünftig. Der Vorschlag ist ja nicht neu, aber die Diskussion darum war eingeschlafen. Ich will versuchen, mit allen Parteien und Gruppierungen darüber zu sprechen und diese Ergänzung anzuregen.

Die Diskussion um das Staatsbürgerschaftsrecht flammt immer wieder einmal auf, aber bisher geschieht nichts. Es scheint einen stillen, aber hartnäckigen Widerstand zu geben, vor allen Dingen aus den Unionsparteien.

Ich habe auch von Unionspolitikern ein positives Echo, allerdings habe ich darüber nicht mit den Spitzen der Union gesprochen. Bei der SPD gab es großen Applaus und Zustimmung. Und ich hatte kürzlich in Berlin eine erste Nachfrage einer türkischen Organisation.

Die Bundesrepublik Deutschland würde sich nach Ihrem Vorschlag der Rechtslage einiger anderer westeuropäischer Länder angleichen.

Wo sich dieses Recht bewährt hat. Frankreich ist das klassische Beispiel in Europa. Die in Frankreich geborenen Kinder der Ausländer sind automatisch französische Staatsbürger. Das Interview führte Tissy Bruns

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