Schleichwerbung-betr.: "Geheime Mädchenwelt", taz vom 21.11.92

Betr.: „Geheime Mädchenwelt“, 21.11.92

Daß ein Journalist Bücher, über die er schreibt, gelesen hat, erwarten wir nicht. Vortäuschung von Kompetenz gehört zum journalistischen Handwerk. Wenigstens aber die Einhaltung der einfachsten Regeln dieses Handwerks sind von Journalisten zu erwarten. Daß ein taz-Reporter ein undogmatisches und kritisches Buch, das sich mit sozialen Fragen befaßt, gut findet, erwarten wir auch nicht. Kritisieren wollen wir nur die Art und Weise, wie Torsten Schubert das neue Buch von Helene Manos (das übrigens schon seit Monaten auf dem Markt ist) verreißt: Nämlich nicht mit einer Polemik gegen das Buch selbst, worüber sich niemand wundern würde, sondern mit einem Angriff auf die persönliche und wissenschaftliche Integrität der Autorin.

Es gehört — zumindest nach der Auffassung des deutschen Presserats — zu den Selbstverständlichkeiten eines seriösen Journalismus, bei einer Person, die in einem Artikel kritisiert werden soll, nicht gewisse Stigmata wie z.B. Nationalität, Religion, Hautfarbe ... zu nennen, wenn dies nicht für den Artikel wesentlich ist. (...) Wichtig wäre unter Umständen gewesen, bei wem sie studiert hat, daß sie seit über 15 Jahren kritische Sozialforschung betreibt, was sie bisher veröffentlicht hat.

„Die Aussagen der Mädchen sind in dem Buch nicht durch ihre Lebenssituation verbürgt ... Es wäre wichtig zu wissen, wer diese Mädchen sind“, schreibt Torsten Schubert. Nach der persönlichen, wird in dem Artikel hiermit die wissenschaftliche Integrität der Autorin angegriffen: Vielleicht gibt es die Mädchen ja gar nicht? Hier hätte schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Buches Abhilfe schaffen können: Das Buch besteht zu einem Drittel aus kommentierenden und sozial analysierenden Texten zu den Berichten der Mädchen, die deren Lebenszusammenhang so weitgehend beschreiben, wie das in einer kritischen Befragung möglich ist. Hätte der Reporter das Buch gelesen, hätte er gemerkt, daß die Mädchen für die Aussagen, die sie machen, Gesundheit und Leben riskieren — daher war es leider nicht möglich, Herrn Schubert Namen und Adressen der Mädchen zu überlassen.

Schließlich fühlt sich Herr Schubert „mit den Aussagen der Mädchen alleingelassen“. Als taz-Experte für Sozialforschung hätte ihm bekannt sein dürfen, daß qualitative Untersuchungen kritischer Schule die Komplexität der Aussagen der Befragten in den Mittelpunkt stellen, und die soziologische Analyse lediglich die authentischen Berichte begleiten soll. Sein Gefühl des Alleingelassenseins hätte Herr Schubert ganz einfach überwinden können, wenn er am 20.11. — einen Tag vor dem Erscheinen seines Artikels — unsere Sendung „Gewidmet den Mädchen“ angehört hätte, wo wir in einem vertiefenden Gespräch mit der Autorin Helene Manos eine Einführung in ihr Buch gegeben haben. Wer sich sonst noch alleingelassen fühlt, kann gerne eine Kassette von der Sendung bei uns bestellen (Lagerstr.27, 2 HH 36) Marcel Stötzler,

Artemis Joannidou, Radio Loretta

Mit seinem Artikel über die Lesung des Buches „Gewidmet den Mädchen“, eine Streitschrift zur Armut und Gewalt von Helene Manos, wird Schreiberling Torsten Schubert dem Thema nicht gerecht. Ich vermute stark, daß er das Buch nicht gelesen hat.

Sein Schlußfazit über die Qualität des Buches: „Das Buch ist für die Mädchenarbeit gut, weil man es mit verteilten Rollen lesen kann“, bleibt für den Leser unverständlich und so auch der Artikel überflüssig und unbedeutend. In dem 50-Zeiler schleppt Torsten Schubert sich von einer Phrase in die nächste.

Wenn das Thema nicht ein so ernstes wäre, und wir nicht mit allen Mitteln versuchen müßten, die Mädchenarbeit in St. Pauli und anderen Hamburger Stadtteilen zu unterstützen, könnten wir vielleicht noch den Humor für diesen schlecht recherchierten Witz von Artikel aufbringen.

So kann ich nur mit Bedauern feststellen, daß euer Geschmiere der Sache alles andere als dienlich ist. Aus diesem Grunde möchte ich an dem Thema Interessierten auf diesem Wege mitteilen, daß Helene Manos' Buch sich gerade durch den Interviewcharakter auch Lesern erschließt, die sich mit der Problematik noch nicht in dem Maß auseinandergesetzt haben und alles andere ist als eine „Geheime Mädchenwelt“, ein Bilderbuch zur Weihnachtszeit. Dagmar Engels