: Von Augen und Schwänzen
■ Neu, handlich, therapeutisch: "Hoffmanns Stärke" von Peter Dahl / Zeichnungen Til Mette
Von Augen und Schwänzen
Neu, handlich, therapeutisch: „Hoffmanns Stärke“ von Peter Dahl / Zeichnungen: Til Mette
Hoffmann ist ein Blatt im Wind. Ein Geborstener. Ein Denker, der ständig vom Absturz bedroht ist und der ständig abstürzt. Hoffmann, wie sein Name schon ausdrücken will, ist Nihilist mit selektivem aber geschärftem Wahrnehmungsvermögen, wo hat man sowas schonmal? Hoffmann hat alle Stadtneurosen und ein grassierendes Sexproblem. Hoffmann, das bist du und das bin ich und das ist schlußendlich Peter Dahl, Hoffmanns Erfinder. Dahl, Seemann und Rundfunk-Urgestein bei Radio Bremen, hat rechtzeitig zum Fest ein Büchlein vorgelegt, welches „Hoffmanns Stärke“ heißt und vom Bremer Zeichner Til Mette begnadet konterkarikiert wird. Ein Büchlein, das in dem Sinne therapeutisch wirkt, als es uns nach dem Lesen immerhin nicht schlechter geht.
Dahl, der nicht zu Unrecht als größter deutscher Aphoristiker seit Lichtenberg gehandelt wird, hat die oft unterschätzte Fähigkeit, Entdeckungen aus dem Alltag als Gedanken zu verkaufen. Für uns LeserInnen heißt das: Wir kommen ins Nachdenken. Dagegen kann niemand etwas haben. Beispiel: „Hoffmann hielt sich für romantisch, aber Selbstbefriedigung lehnte er ab. Man muß sich so viel dabei denken, sagte er.“
„Sein Geschlecht, meinte Hoffmann, war das einzig wirklich Weibliche an ihm.“ Dahl zeichnet die Frontlinien da, wo sie verlaufen. Da ist er gnadenlos. Er legt die Finger auf jeden sich bietenden offenen Nerv. Da ist er schonungslos. „Auf dem Heimweg bequemte sich Hoffmann zu dem Eingeständnis: Da waren die Augen wieder mal größer als der Schwanz.“ Ach Hoffmann! Ist die Wiederholung des Kummers eine Verdopplung des Kummers? Oder wirkt sie bannend im Sinne der Höhlenmalerei?
Hoffmann, Dahl, du, ich: Unbehauste, eingeklemmt „zwischen hier und jetzt“, wie der Untertitel suggeriert. Anachronistisch sind wir bis dorthinaus und doch eigentlich voller Sehnsucht nach Nähe. Hoffmann, im Gemeinschaftsraum der Wohngemeinschaft, inmitten aller einsam: „Ich fühle mich hier nicht aufgehoben!“ Wahrlich, wahrlich, „Hoffmanns Stärke“ ist ein Handbuch! Bus
Peter Dahl / Til Mette (Zeichnungen): Hoffmanns Stärke - Ansichten einer Welt zwischen hier und jetzt. Bremen: Ed. Temmen, 1992, 63 gelbliche Seiten, 13 Mark.
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