: Das Bekennerschreiben ist echt!
■ 60 Sympathisanten setzen sich für fiktive „Terroristen“ ein
Baden-Baden/ München/ Berlin (dpa/taz) – In einem offenen Brief haben sich am vergangenen Freitag in München 60 AutorInnen und RegisseurInnen für den von Bundeskanzler Helmut Kohl angegriffenen Fernsehfilm „Die Terroristen!“ von Philipp Gröning ausgesprochen. In dem im Anschluß dokumentierten Brief heißt es, daß der Kanzler seine „Betroffenheit“ als Druckmittel gegenüber einem Sender benutze und sich unzulässig in die Kompetenzen demokratisch gewählter Gremien einmische. Wie die taz mehrfach berichtete, hatte sich Kohl vor allem darüber beklagt, durch den Film könne der Eindruck hervorgerufen werden, daß er selbst Opfer eines Attentats werden solle. Seiner Ansicht nach gibt der in der SWF-Reihe „Debüt im Dritten“ in der vorigen Woche ausgestrahlte Film Hinweise, wie ein Attentat in die Tat umgesetzt werden könne. Für ihn und seine Familie sei dies ein „unerträglicher Vorgang“.
Der 1991 entstandene Film erzählt von drei jungen, gelangweilten Leuten, die inmitten einer mit modernster Technik ausgestatteten Wohnung ein Attentat planen und dieses auch auszuführen versuchen. Der Anschlag – das Opfer wird nicht genannt, ist aber als Kanzler („Der Dicke“/„Der dicke Staatsmann“) zu identifizieren – mißlingt. In die erfundene Geschichte sind Originalaufnahmen Kohls zur Zeit der Wiedervereinigung eingespielt.
Beim Südwestfunk in Baden- Baden wird es trotz der Intervention des Kanzlers keine personellen Konsequenzen geben. Der Fernsehausschuß des SWF-Rundfunkrates äußerte am Freitag aber erhebliche Zweifel, ob ein fiktives Fernsehspiel eine Person des Zeitgeschehens in dieser Form zeigen könne. „Großes Verständnis“ äußerte der Ausschuß für die persönliche „Betroffenheit“ von Kohl. Gründe für ein Mißtrauen gegenüber der SWF-Leitung seien allerdings nicht gegeben. Nach Ansicht von SWF-Intendant Willibald Hilf enthält der Film keine Aufforderung und keine Anleitung zu einem Attentatsversuch. Der experimentelle Charakter der Sendereihe bringe es mit sich, daß „Grenzfälle der filmischen Bewältigung eines Themas“ nicht auszuschließen seien.
Hier der Brief der RegisseurInnen und AutorInnen im Wortlaut:
„'Die Terroristen!‘ – Wider den allzu persönlichen Umgang mit Macht
Am 28.11. 92 hat Bundeskanzler Kohl in seinem offenen Brief die Ausstrahlung von Philipp Grönings Film „Die Terroristen“ durch den Südwestfunk als „unerträglichen Vorgang“ bezeichnet und den Rundfunkrat des SWF unter Umgehung seines Intendanten pauschal und undifferenziert dazu aufgefordert, keine Sendungen mehr auszustrahlen, „in welcher die Ausübung von Gewalt gegen die Repräsentanten unseres Staates dargestellt wird“. Darüber hinaus bemüht sich der Brief um einen kausalen Zusammenhang zwischen Filmen wie dem von Philipp Gröning und Attentaten der jüngsten Vergangenheit auf führende Vertreter des Staates im Sendegebiet des SWF. Gegen einen derartig leichtfertigen Umgang mit diesem Film protestieren wir.
Drei junge Menschen haben den Kontakt zu dem Land verloren, in dem sie leben, genauso wie sie keinen wirklichen Kontakt zueinander haben. Sie montieren eine Sprengstoffladung an einem Spielzeugauto und hoffen, daß sie durch ein geplantes Attentat auf den Kanzler wieder etwas spüren werden: Die Computer-Kids der 90er Jahre spielen Terrorismus.
Genauso schrill und grotesk, wie Gröning seine Helden scheitern läßt, zeichnet er das Bild einer verwahrlosten und aggressiven Generation. Insofern widerlegen die Stilmittel des Films, nämlich die der Groteske, die von Helmut Kohl aufgestellte Behauptung, dieser Film rufe zum Kanzlermord auf.
Auch wenn der Bundeskanzler den Film nur zu Teilen kennen sollte, gestehen wir ihm zu, seine Betroffenheit zu äußern. Wenn diese Betroffenheit allerdings als Druckmittel gegenüber einem Sender benutzt wird, und wenn darüber hinaus das Bundesinnenministerium prüfen läßt, wer die Gelder für diesen Film bereitgestellt hat, so weisen wir das entschieden als Machtmißbrauch und unzulässige Einmischung in die Kompetenzen demokratisch gewählter Gremien zurück.
Während andere Fernsehsender einen Mißbrauch der ganz anderen Art betreiben, indem sie den Zuschauer blind und mundtot machen gegenüber der Realität in diesem Land, erfüllt der Südwestfunk mit der Ausstrahlung von Philipp Grönings Film seinen Kulturauftrag, so wie wir ihn verstehen: Gerade eine Zeit wie diese braucht die Auseinandersetzung mit kontroversen, ja auch provozierenden Themen. Mit repressiven Maßnahmen oder dem Versuch einer Tabuisierung von schwierigen Inhalten ist niemandem gedient.“
Unterzeichnet ist der Brief u.a. von Arend Agthe, Tevfik Baser, Christian Baudissin, Hans Beller, Ralph Bohn, Detlef Buck, Pia Frankenberg, Elke Götz, Nina Grosse, H.W. Geissendörfer, Angela Holtzschmidt, Sherry Hormann, Dani Levy, Maris Pfeiffer, Claudia Prietzel, Christoph Schlingensief, Susanne Schneider, Jan Schütte, Maria Schrader, Uwe Schrader, Laila Stiehler, Christian Wagner, Peter Welz, Bettina Wilhelm...
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